Was wäre wenn…

Einsendung zum Wettbewerb #netzheldin von Rebecca, 13 Jahre

Ich stehe auf der Brücke, unter mir die Donau, ich kann nicht beschreiben, was ich jetzt fühle. So etwas habe ich noch nie gefühlt. Es ist als würde ich dem Tod gegenüber stehen und ihm direkt in die Augen blicken. Ob ich Angst habe? Nein, nicht wirklich. Ich habe keine Angst, eigentlich eher genau das Gegenteil. Ich fühle mich gut, ich fühle mich, als wäre ich befreit. Es wäre nur ein einziger Schritt und dann wäre alles vorbei. Ich könnte alles hinter mir lassen. Alles was ich die letzten Monate erlebt habe, würde einfach von mir abfallen. Ich müsste nicht mehr denken, ich müsste mich nicht mehr demütigen lassen.

Unter mir höre ich das Wasser rauschen. Müssten mir jetzt Gedanken durch den Kopf gehen, die mich davon abhalten wollen zu springen? Müsste ich jetzt über das Geländer zurück auf den Bürgersteig klettern und nach Hause gehen? Müsste mich irgendeine Stimme in meinem Kopf daran hindern, zu springen? Wahrscheinlich schon. Doch da ist nichts, ich höre keine innere vernünftige Stimme, die schreit: „Tu das nicht! Du wirst es bereuen!“ Dann, plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Eine ältere Dame, ich schätze sie auf circa 50 Jahre, steht neben mir. Ich höre es in ihrem Kopf rattern. Wahrscheinlich fragt sie sich: Was sage ich jetzt, was tue ich jetzt? Sie will gerade etwas sagen, da komme ich ihr zuvor. „Egal, was sie jetzt sagen, sie können mich nicht davon abhalten zu springen, ich habe meinen Entschluss gefasst. Bitte, sagen sie jetzt nichts.“ Sie unterbricht mich: „Ich werde sie bestimmt nicht daran hindern, zu springen, aber bitte kommen sie über das Geländer und erzählen sie mir ihre Geschichte. Danach können sie immer noch springen.“ Das klingt logisch für mich und ich klettere tatsächlich über das Geländer zu ihr. Gemeinsam setzten wir uns auf die Brücke mit dem Rücken am Geländer angelehnt und ich erzähle ihr meine Geschichte:

„Alles fing in der 6. Klasse an. Damals war ich zwölf Jahre alt und hatte gerade die Schule gewechselt, vom Gymnasium auf die Realschule. „Jetzt wird alles besser“, dachte ich mir. Doch dem war nicht so. Ich war gerade ein paar Wochen auf der Schule, meine Noten waren super. Freunde hatte ich zwar noch nicht gefunden, aber ich dachte, das würde schon noch kommen, da hörte ich meine Klassenkameraden in der Pause reden. Viel konnte ich nicht verstehen, aber das was ich aufschnappte, verletzte mich sehr. Ich hörte nur Wortfetzen, wie: „Die neue, zu dumm fürs Gymnasium“ oder „So ein Streber, wär sie lieber auf der anderen Schule geblieben, hier will sie eh keiner sehen.“ Oder „Von der Hässlichkeit krieg ich Augenkrebs“ und dann hörte ich etwas, was ich lieber nicht gehört hätte: „Wird Zeit die Seite: www.RealschuleRebensburg.Inside.com wieder zu beleben. Ich lad heute was hoch. Schaut es euch an.“

Natürlich habe ich mir das auch angesehen. Hätte ich das lieber nicht getan! Ich öffnete die Seite und dort gab es nur ein Video, es hieß: Basia, kleiner, hässlicher Streber aus Polen. Ich hatte keine Ahnung, woher die wussten, dass ich aus Polen kam, aber das war mir im Moment ziemlich egal. „Das wird schon nicht so schlimm sein, jetzt schau dir mal das Video an.“, dachte ich mir. Das tat ich dann auch und was ich da sah, trieb mir die Tränen in die Augen. Die Kamera filmte mich, wie ich mich in der Sportumkleide umzog, einmal kam ich zu spät und war deswegen alleine dort. Aber nicht nur das. Mit Photoshop hatte man mir einen superdicken Bauch und eine Schweinchennase gemacht. Das Video dauert nur ein paar Sekunden, doch das war schon lang genug, um mich zum Weinen zu bringen. Meinen Eltern erzählte ich jedoch, dass es auf der neuen Schule super lief. In den nächsten Wochen wurde ich mehr und mehr zum Außenseiter, auf der besagten Internetseite tauchten immer wieder fies bearbeitete Bilder auf, ich mit einem Rüssel und der Bildunterschrift: Basia, 12 Jahre, soll zurück in ihr Scheiß Polen. Oder Bilder von mir beim Umziehen mit Titeln wie: Basia, 12 Jahre, mit oder ohne Klamotten, hässlich. So ging das über Wochen, Monate, ich kam in die 7. Klasse, wurde 13, doch es ging immer weiter. Auf dem Schulhof wurde mir nachgerufen: „Deine Bärchen Unterhose ist ja super süß. Hat Mami die gekauft?“ und wenn ich dann versucht habe, mich zu wehren, wurde ich nur ausgelacht. Die Lehrer schauten weg und das stachelte meine Mitschüler nur noch mehr an. Doch auf die Spitze trieben sie es mit einem Bild, das einen Obdachlosen zeigte. Mich hatten sie in das Bild reingeschnitten und darunter stand: Basia, 13 Jahre, mit ihrem Papi, bei sich zu Hause. Es hat mir wirklich gereicht. Ich habe die Fehler bei mir gesucht. „Bin ich wirklich so hässlich?“ „Was mach ich denn falsch?“
Ich ging nicht mehr zur Schule, schwänzte heimlich. Tagelang, bis der Direktor meine Eltern anrief und sie zu einem Elterngespräch bat. Als ich hörte, dass er am Telefon war, bin ich abgehauen. Hierher und wollte einfach alles beenden.“

Die Frau hatte mir aufmerksam zugehört und dann sagt sie etwas, was auf mich wohl eine magische Wirkung hatte: „Du bist ein wunderschöner Mensch und du lebst nur einmal, das muss dir bewusst sein, wenn du dich wirklich immer noch umbringen willst. Ich biete dir an, dir zu helfen, ich begleite dich gerne zur Polizei, wenn du deine Mitschüler anzeigen willst und ich rede mit deinen Eltern, wenn du das nicht tun willst. Aber ich werde dich nicht daran hindern, dich umzubringen. Tu was du für richtig hältst.“ Ich überlege und dann fasse ich einen Entschluss. Ich stehe auf und umarme die Frau. „Sie sind ein Engel, Vielen Dank für alles. Lassen sie uns zur Polizei gehen.“ Sie lächelt und gemeinsam machen wir uns auf den Weg.

5 Jahre später
Wenn ich heute zurückblicke, glaube ich, diese Frau war wirklich ein Engel. Wir haben meine Mitschüler angezeigt und meine Eltern eingeweiht. Ich habe erneut die Schule gewechselt und dort endlich Freunde gefunden. Ich kann nur jedem Mädchen raten, das in derselben Situation ist: Redet mit jemandem über eure Probleme.

Mir hat es das Leben gerettet.

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