Tagträumerei

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Emily Rose, 21 Jahre

Wenn das Leben total daneben läuft und man sich einfach nur noch fragt, ob es jemals besser wird, dann fängt man an zu träumen. Man beginnt sich nach einem Ort zu sehnen, an dem alles funktioniert: Staat und Politik, Arbeit, Liebe, du und ich, mein kaputtes Knie. Ein Ort, an dem es keine Sorgen gibt, wo alles perfekt ist.
Aber die Wahrheit ist, diesen Ort gibt es nicht, denn er würde für jeden anders aussehen. Deshalb träumen wir vom Paradies, einem Leben nach dem Tod. Dabei wissen wir nicht sicher, ob es dieses perfekte Leben für unsere verstorbenen Seelen gibt. Sollten wir uns da nicht viel mehr bemühen, etwas aus diesem Leben zu machen, aus dem Hier und Jetzt?
Fangen wir klein an, mit einer einzelnen Stadt vielleicht. Schließlich können wir nicht gleich die ganze Welt retten und Kriege und Hungersnöte beenden.
Wie würde diese eine, besondere Stadt aussehen?
Ich träume immer von einer großen, lebendigen Stadt, die viele Einwohner hat, ohne dabei überfüllt zu sein. Wir haben aufgehört, unseren Planeten zu zerstören, sodass die Umwelt eine Chance hatte, sich wieder zu erholen. Das Wetter hat sich beruhigt, wir haben warme Sommer und kalte, weihnachtliche Winter, nicht dieses Hin und Her von kalt und arschkalt mit drei Tagen Sommer und sonst nur Regen.
Wenn wir einatmen, erfüllt uns der Duft der Jahreszeiten. Die Luft riecht nach frischem Gras, Blumen, Advent oder Tannen. Es gibt keine stinkenden Abgase mehr, denn der Verkehr beschränkt sich auf die Straßen- und Luftbahnen. Wer schnell mal wo hin muss, schnappt sich einen Drahtesel oder ein Pferd. Die Wege sind breit genug, dass alle Platz finden, und überall gibt es kleinere und größere Parks, wo man einfach abschalten und sich dem Gesang der Vögel hingeben kann.
Gerade am äußeren Rand der Stadt gibt es viel Grün, denn dort sind die ruhigeren Viertel, wo die meisten Rentner hinziehen, sobald es ihnen im bunten Stadtzentrum zu laut und hektisch wird. Sie können sich dort abseits des ganzen Trubels um Haus und Garten kümmern, Kochen, Fahrradfahren, Kartenspielen und ihre Enkel durch den Park jagen.
Im Zentrum dagegen herrscht das laute, wuselige Stadtleben. Einkaufszentren, Sportplätze, Kinos, Restaurants und alle möglichen Freizeitbeschäftigungen finden sich dort. Die Partymeile ist gerade unter den Jugendlichen stark angesagt und wird - sehr zur Erleichterung aller besorgten Mütter - gründlich überwacht, sodass keinem, der zu tief ins Glas geschaut hat, etwas passiert. Trunkenheit am Steuer ade.
Unfälle, Kriminalität und Drogen kommen nur noch selten vor. Die Unzufriedenheit, die nicht selten zu Gewalt oder Drogenkonsum führte, gibt es nicht mehr, da Ursachen wie Arbeitslosigkeit, Mangel an Bezugspersonen oder ein fehlender Schulabschluss nicht weiter existent sind. In dieser Stadt wird dafür gesorgt, dass jeder durchkommt, auch jemand, der dachte, er hätte niemanden. Wir halten zusammen und unterstützen einander, ohne dass wir uns wirklich kennen müssen, denn dieser Zusammenhalt zahlt sich aus.
Und wenn doch einer mal auf die falsche Bahn gerät, dann wird er gerecht bestraft. Ein Raubkopierer sitzt dann schon mal 10 - 20 Jahre, während ein Vergewaltiger oder Totschläger nur ein paar Monate bekommt.
Oh, halt. Das ist ja die Realität. Ich meine natürlich andersherum.
Eine zweite Chance hat jeder verdient, auch die Sträflinge. Wer nach seiner wiedergewonnenen Freiheit auf der Straße landet, dem wird vom Staat unter die Arme gegriffen bis er wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Die meisten beginnen eine Ausbildung und schaffen es, sich wieder in das Stadtleben zu integrieren.
Schüler, die Schwierigkeiten haben im Unterricht mitzuhalten weil sie besondere Fördermaßnahmen benötigen, erhalten kostenfreie Unterstützung. Und wird ein Kind gemobbt, weil es zum Beispiel an Legasthenie leidet, hat sein Lehrer kein Problem damit, eine seiner kostbaren Unterrichtsstunden zu opfern, um die Klasse über Leseschwäche aufzuklären und das Mobbing zu stoppen.
Um an einer Universität studieren zu können, wird kein NC mehr gebraucht. Wer schlechte Noten im Abitur hat, aber genau weiß, dass er Medizin studieren möchte, kann sich für einen einjährigen Vorbereitungskurs anmelden, in dem die für das Studium relevanten Themen wiederholt werden. Ein Abschluss in einem dieser Vorbereitungskurse gleicht den NC aus. Oder aber man kann bei einem Vorstellungsgespräch überzeugen. In jedem Fall kommt einem die Universität entgegen.
Egal um wen es geht - der Staat ist stets bemüht, für das Wohlergehen seiner Bürger zu sorgen. Den führenden Menschen an der Spitze geht es nicht um Macht oder darum, ihren eigenen Reichtum zu vermehren. Sie möchten ein funktionierendes System, dass die Menschen glücklich macht. Wir brauchen keine Angst davor zu haben, abgezockt zu werden oder dass die Steuern plötzlich in die Höhe schießen. Der Staat setzt das Geld dort ein, wo es gebraucht wird, so zum Beispiel auch in die ausländischen Viertel, die genau nach dem Bild der verschiedenen Kulturen und Religionen aufgebaut sind. Auf diese Weise haben die Menschen, die vielleicht aus ihrem Land fliehen mussten, ein Stück Heimat ganz in ihrer Nähe.
Kulturcenter, Informationsveranstaltungen und Feste klären die Bewohner der Stadt über die verschiedenen Lebensweisen auf und verhindern das Risiko von Rassismus oder Religionsstreitereien.
Um auf die Wünsche der Menschen eingehen zu können, hat der Staat ein Internetforum erstellt, in dem die Verbesserungsvorschläge, Wünsche und Hoffnungen, sowie höflich formulierte Kritik der registrierten Bürger aufgelistet werden. Der Staat kann sich mit den Wünschen auseinander setzen und auf diese Weise das meiste aus der Stadt herausholen.
Jeder Einzelne kann so etwas für die Entwicklung seiner Stadt tun, und wenn mir auf der Straße lächelnde Fremde entgegenkommen, werde ich glücklich sein, weil es ihnen gut geht.
Davon träume ich, doch eine solche Stadt existiert nur in meiner Fantasie. Die Realität sieht anders aus, das weiß jeder von uns.
Aber muss das auch so bleiben?

Zurück

Autorin / Autor: Emily Rose