Ein dunkler Hauch von Fortschritt

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Johanna Africa, 15 Jahre

Ich laufe eine endlos wirkende Straße entlang. Die grauen Gebäude, die die Allee säumen, verbreiten eine unangenehme Aura, die leichte, elektrische Stöße durch meinen Körper jagt. Vereinzelt kreuzen Menschen meinen Weg, die Köpfe gesenkt, den Blick starr auf verschiedenste Gerätschaften geheftet. Ich versuche jemanden anzuhalten und zu fragen wo ich mich befinde, doch ich bringe kein Wort heraus, jedes Mal wenn ich versuche meine Lippen zubewegen, vibriert eine Art Uhr an meinem rechten Handgelenk. Als ich sie genauer betrachte, fällt mir auf, dass sie Buchstabenfelder besitzt. Mit vor Aufregung und Angst zitternden Fingern tippe ich Worte: „Wo bin ich?“ Ich drücke auf eine kleine Taste mit der geschwungenen Aufschrift: Senden, doch es passiert rein gar nichts. Weshalb ich enttäuscht den Blick abwende und nun den Boden mustere, als wäre er unbeschreiblich faszinierend. Ich setze mich wieder in Bewegung. Völlig orientierungslos. Dann, ohne zuerst verständlichen Anlass, beginnt der Computer plötzlich, wie verrückt zu piepen und aufzuleuchten. Ich erstarre mitten in der Bewegung und reiße meinen Kopf in die Höhe, sehe eine neue Nuance von Grau und bemerke, dass ich nur wenige Zentimeter vor einer Art Straßenlaterne Halt gemacht habe. „Das war knapp“, will ich ausrufen, doch meine Lippen bleiben weiterhin wie festgenäht. Ich verharre in meiner eingefrorenen Position und warte auf irgendetwas. Dann geschieht es, der Gegenstand an meinem Handgelenk meldet sich vorsichtig. Mein  anfänglicher Entschluss, darüber hinwegzusehen, wird durch die dauernde Vibration schnell zunichte gemacht. Also senke ich widerstrebend meinen Kopf und lese: „Du bist in der Alternative zu deiner Welt.“ Ich stutze. Eine Alternative? Wie eine zweite Variante der Zukunft?! Als könnte jemand oder etwas meine Gedanken lesen, tauchen neue Worte auf: „Es gibt immer eine gute und eine schlechte Entwicklungsmöglichkeit für die menschliche Welt. Auch wenn gut und schlecht relative Begriffe sind und jeder Mensch sie verschieden empfinden kann. Du lebst am oberen Ende der Gesellschaft, in einer von Einfluss und Reichtum gesegneten Stadt, doch dieser Ort hätte aufgrund bestimmten Handels, auch kein Ort der Freiheit des Individuums werden können, sondern eine kalte, mechanische Welt, wie die, die du vor dir siehst!“ Ich versuche meine Gedanken zu ordnen, versuche in dieser Öde ein dunkles Abbild meiner Heimatstadt zu sehen. Auch wenn mir dies nicht gelingt, versuche ich es weiter so verbissen, bis mein Kopf schmerzt und meine Gedanken sich so träge anfühlen wie Teer. Mir wird immerhin klar, dass sich hier niemand um seine Mitmenschen kümmert, die besten Freunde die technischen Geräte sind und die Kommunikation nicht mehr auf verbaler Ebene stattfindet. Ich beginne zu zittern, dieser Ort strahlt eine solche Emotionskälte und ein solches Desinteresse aus, dass es schmerzt. Ich drehe mich im Kreis, erblicke weiterhin nur graue Gebäude, eine Straße, helles, in den Augen schmerzendes Licht und keine Geschäfte, als gäbe es kein Leben mehr außerhalb der virtuellen Welt, als würde man nur selten das Haus verlassen. Beim Gedanken daran, in was für gefühlskalte Lebewesen sich meine Spezies hätte verwandeln können, beginne ich zu schreien und

schrecke aus dem Schlaf, schlage meine Augen auf. Ein goldener Lichtstrahl, der sich durch die Vorhänge gestohlen hat, wärmt mein Gesicht und ich versuche das unangenehme Gefühl meines Alptraumes abzuschütteln. Ich strecke mich und setzte mich auf die Bettkante. Sobald meine Füße den Boden berühren, ertönt eine angenehm melodische Stimme: „Guten Morgen Cloe! Gut Geschlafen? Es ist ein sonniger Tag, 25 Grad, elf Uhr elf, der 29. August 2050.“ Ich muss lächeln, alles wie immer. „Ja ein Glas Orangensaft und öffne die Vorhänge.“ Eine Klappe neben meinem Bett springt auf, das Tuch gleitet zur Seite und gibt den Blick auf eine der schönsten Städte meiner Zeit frei. Ein breiter Fluss schlängelt sich durch die geschäftige, aber harmonische Stadt, riesige, filigrane Glasbauten strecken sich dem Himmel entgegen und majestätische Bäume spenden den schlendernden Menschengruppen Schatten. Das Leben hier verläuft so reibungslos, wie die technischen Abläufe in einer gutgeölten Maschine. Ich erinnere mich an meinen Traum und versuche mich darauf zu besinnen, dass KEY in keiner Weise der Stadt meiner Träume ähnelte. Diese Traumstadt ist das Muster, der Schlüssel zu einer Art des Zusammenlebens, die der Menschheit über Jahrhunderte verwehrt geblieben ist. Menschen verschiedener Kulturen leben in Respekt zusammen, ohne sich über Verschiedenheiten den Kopf zu zerbrechen und akzeptieren, dass sich jeder ein bisschen von seinen Mitmenschen unterscheidet. Außerdem ist etwas nur so lange unbekannt, bis man es kennenlernt. Das wir so lange für diese Erkenntnis gebraucht hatten, schien mir unverständlich, auch wenn ich von meinen Eltern wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Wenn ich meine Mutter ansah, wusste ich, dass es tatsächlich ein harter Kampf zu der jetzigen toleranten Gesellschaft gewesen war. Sie war gezeichnet von einem langen Kraftakt, den Frauen hatten bewerkstelligen müssen, um die endgültige Emanzipation und damit ein respektables Arbeit-Kinder-Modell zu verbreiten und zu festigen. Jedes Mal, wenn meine Mutter überrascht hochfuhr, weil ich erzählte, das ein großer Teil meiner Kolleginnen und Kollegen zumindest teilweise zu Hause arbeiteten, da sie Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen wollten, bewies sie mir, dass ich in einem verdammt guten Teil der Menschheitsgeschichte, dass Licht der Welt erblickt hatte.

Ich betrachte erneut die in voller Blüte stehende Stadt und dankte, wem auch immer, für die Entwicklung, die es mit uns genommen hatte und dafür, dass ich in einer Gesellschaft lebte, in der weder Geschlecht, Herkunft, Kultur, sexuelle Ausrichtung oder andersartige Meinung negativ ins Gewicht fiel, sondern einfach einen oder mehrere interessante „Special Effects“ darstellten.

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Autorin / Autor: Johanna Africa