Tree of Life

Einsendung zum Wettbewerb 2050 - Stadt meiner Träume von Josephine, 15 Jahre

Meine Stadt ist ein wahrer Riese. Ein Ungetüm, welches man schon aus kilometerweiter Entfernung sehen muss. Nicht selten sind ihre Spitzen nicht zu erblicken, da der Dunst der Wolken über ihnen hängt. Ihr Durchmesser beträgt jedoch grade mal einen halben Kilometer. Doch was ihr in der Breite fehlt, holt sie mühelos in der  Höhe wieder auf. Gut und Gerne einen Kilometer erstreckt sie sich in die Höhe. Nein natürlich haben  wir dort nicht unbegrenzt Platz. Doch für uns reicht es. Wo ich lebe? Nun sie oder viel mehr er hat viele Namen Tree of Life, Lebensbaum oder aber auch Baumstadt.

Aufgrund seiner Größe braucht er Unmengen an Wasser. Doch auch dafür hat die Natur eine Lösung gefunden. Seine Wurzeln winden sich wie riesige Krallen bis zum Grund des Sees. Um den See herum wächst ein Urwald. Seine Abfälle erhalten unsere Stadt am Leben. Die toten Pflanzen und Tiere, die morschen Bäume und herab segelnden Blätter. Sie alle werden durch die Wärme des Sees ungewöhnlich schnell zersetzt und beliefern so unseren „Tree of Life“ mit Nährstoffen. Die Klippen über dem See erheben sich wie ein riesiges Gerippe. Doch selbst bis hier auf den vermeintlich grauen und trostlosen Steinklippen existiert die Farbenvielfalt und Lebendigkeit des Waldes. Das Zirpen der Zikaden, Gezwitscher der farbenfrohen Paradiesvögel und Brüllen der Raubkatzen ist unser Großstadtlärm.

Der Baum selbst besteht aus drei Säulenringen, die sich unerbittlich in die Höhe winden. Wenn man den ersten Ring durchquert, gelangt man in die Höhlen der Tausend Lichter. Durch die Verwachsung des zweiten Rings mit dem dritten entstehen Höhlen und durch die Öffnungen in den Wurzeln wird Licht auf das Wasser geworfen. Dieses spiegelt sich in den Decken der Höhlen. Eben jene Höhlen nutzen wir als unseren Hafen.  Unsere Boote, die Einbäume werden mit dicken aus Lianen selbst geknüpften Tauen am zweiten Säulenring befestigt. Wenn man zur mittags oder abends Zeit dort entlang schlendert, sieht man nicht selten Eltern mit ihren Kindern in den Booten sitzen, die das natürliche Schaukeln und das Brausen der Wasserfälle nutzen, um ihre Kinder in den Schlaf zu wiegen. Es gibt an die hundert kleine Stege die vom zweiten Säulenring zum dritten führen. Dieser ist wie eine Hauptstraße für uns. Er windet sich wie ein Korkenzieher bis in die Kronen des Baumes. Mit der Zeit haben unsere Leute Geländer und Treppenstufen in die Wurzeln und Äste geschlagen, sodass wir auch von der Wasseroberfläche hoch in die Baumkronen klettern können. 

Ja die Wasserfälle! Wir haben fünf an der Zahl. Zwei stürzen sich in einem Affenzahn das Gerippe der Klippen hinunter. Dabei wird so viel Dunst in die Lüfte erhoben, dass die Tropfen sich wie ein Tränenschleier mit den Wolken am Himmel verschmelzen. Nun und dann wären da noch die drei anderen Wasserfälle. Es sind unsere „Inneren“. Die drei Wasserfälle fließen aus dreien, der obersten Äste in den Wipfeln des Baumes. Die Rinde des Baumes funktioniert hierbei wie ein Schlauch und Pumpe in einem. Sie zieht das Wasser bis in die letzten Zipfel des Baumes. So können wir unter anderem von überall in unserer Stadt Wasser zapfen.

Durch die Bewegung des Wassers ist es uns sogar möglich in Astlöchern ganze Fischfarmen aufzuziehen. Wir ernähren uns von all dem was uns der Baum gibt. Von den Eiern und den Vögeln die in seinen Wipfeln nisten, von den Fischen die wir in unseren Farmen aufziehen und im See fangen. Ja selbst Felder haben wir. In der Spitze des Baumes, wo sie der Sonne am nächsten sind haben wir haben wir sie erbaut. Zwischen den Ästen haben wir Lianen gepflanzt. Als diese kräftig genug waren mit Erde und Dünger überschüttet, bis wir irgendwann einen wahrhaftigen Boden erschaffen hatten. Unseren Dünger gewinnen wir aus unseren Abfällen. Doch der Platz reicht leider nicht, so sind wir irgendwann darin über gegangen auch den See als Ackerland zu nutzen. Wir schufen riesige schwimmende Gärten, wo wir selbst Tiere drauf halten. Wir haben Hühner und Gänse, Ziegen und Schafe.Oben in den Kronen, dort wo sich die Äste sich gabeln, gibt es eine riesige Terrasse. Hier können wir kochen und backen, grillen und dünsten wann immer wir wollen. Häufig wird für alle gekocht. Dort gibt es viele mit Metall ausgekleidete Feuerstellen, damit auch bei langen Trockenperioden der Baum geschützt ist. Der Wald schenkt uns Beeren und Nüsse die wir zu Süßspeisen, Mehl oder Trockenobst verarbeiten können.

Das Innere des Baumes ist hohl. So erschufen unsere Vorfahren dort Räume und Säle, Wege und Treppen. Sie werden für die Gemeinschaft genutzt. Es gibt Bibliotheken, Sporthallen, Kindergärten, die Säle des Stadtrates, alles was wir brauchen. Wir wohnen Zwischen den Ästen der Bäume. Da die Äste uns als Wege dienen, sind sie nur die Befestigung für unsere Häuser. Die Häuser, sie hängen unter den Ästen. Sie werden durch Pfähle gesichert, damit sie bei starken Böen nicht zu sehr schwingen. Mit der Zeit Verwachsen die Pfähle sogar mit dem Baum. Im Prinzip sind sie aufgebaut wie die Häuser im 20-Jahrhundert. Mit einem kleinen Unterschied: Der Eingangsbereich und die Eingangstür befinden sich Auf den Dächern. Die Tür ist eine Luke und eine Treppe führt in das Haus. Die Dächer werden meist als Garten genutzt, um Obst und Gemüse anzupflanzen. Die meisten von uns sind von normalen Betten zu Hängematten über gegangen. Alles in den Häusern ist gesichert, denn schaukeln kann es jeder Zeit.

Unsere Stadt, sie war zu Beginn ein Ort, zu welchem die Menschen erst noch hinkommen mussten um dort zu leben, eine Einwanderungsstadt. Es waren viele verschiedene Völker die dort aufeinander trafen. Sie bewohnen die Stadt und wurden mit der Zeit zu einem einzigen, großen, gemeinsamen Volk. Wir, das Volk ist bis heute so bunt und vielfältig wie der Wald in dem wir leben.Wir alle profitieren von den Stärken und Fähigkeiten eines jeden Einzelnen. Wir sind die exekutive, legislative, judikative und mediale Macht in einem. Es gibt keine Oberhäupter. Brauchen wir Gesetzte so schreiben wir sie selbst, mit unseren eigenen Händen, nach unseren eigenen Vorstellungen. Gibt es Entscheidungen die anstehen, so stimmen alle die mindestens siebzehn Sommer gesehen haben, über sie ab.

Wir versuchten mit der Natur zu leben, nicht sie unter Kontrolle zu bekommen. So hatten unsere Vorfahren kurz nach der Zeit der ersten Siedlungen einstimmig das Gesetzt zum Verbots von Plastik beschlossen. Auf Nutzung, Ver-& Bearbeitung, Herstellung und Besitz steht bis heute der lebenslange Verstoß aus unserer Stadt. Ebenso verzichten wir vollkommen auf Autos. Die gesamte Stadt zieht sich ein  weitläufiges Schienennetz. Durch Treppen und teilweise sogar Rutschen gelangen wir von Etage zu Etage. Mit Seilzügen und Gewichten wird alles was wir von außen und zum Leben brauchen Meter für Meter in die Höhe gehievt.

Den Strom den wir brauchen liefert uns die Natur. Die Sonne erhitzt unser Wasser und liefert uns Energie. Auch die Bewegung des Wassers und des Windes nutzen wir. Unsere Kleidung machen wir selbst. Wir bauen Leinen und Baumwolle an. Wir scheren unsere Schafe und halten Seidenraupen. Im Herzen des Baumes befinden sich Fabriken und Manufakturen. Dort spinnen wir Garn, weben unsere Stoffe. Doch ebenso bauen wir dort unsere Möbel, wir machen unseren Käse aus Ziegen- und Schafsmilch.Das Herz unserer Stadt beinhaltet eine Universität und ein Krankenhaus. Eine Mittelschule für alle, denn hier gibt es keine höheren oder besseren Schulen.

Zur Zeit der ersten Siedlungen entschloss sich unser Volk etwas wie Geld vollkommen aus der Stadt zu verbannen. Jeder sollte sich nur das nehmen was er brauchte, jedoch trotzdem so viel bekommen wie er benötigte. Jeder gibt das was er kann. Wir helfen uns, uns allen.

Und trotzdem, bei manchem können wir nichts tun. Die Menschen kommen, die Menschen gehen. Aus ihrer Stadt, aus ihrem Land, von dieser Welt. Sobald die unsterblichen Seelen unseres Volkes die sterblichen Körper verlassen, werden ihre leblosen Hüllen dem Feuer preisgegeben und über dem See verstreut. Mein Volk glaubt nicht an Himmel oder Hölle, dass wäre zu einfach. Wir glauben unsere Vorfahren leben weiter, in unserem Baum, in unserer Stadt.
Etwa zweihundert Meter von der Stadt entfernt, gibt es eine Insel. Es ist die Isla de Muerta. Doch die Insel ist nur in sehr wenigen Momenten ein Ort der Trauer. In den Kinderschuhen des Novembers feiern wir ein Fest. Ein Fest für das Leben, ein Fest für die Toten, doch und das ist das wichtigste nicht für den Tod selbst. 

Drei lange, meist neblige und verregnete Novembertage lang ehren wir sie mit allen Farben dieser Welt, mit den Klängen des Lebens und dem Duft und dem Geschmack eines zum sterben gutem Gericht, gemacht mit den Rezepten unserer Vergangenen. Wir fahren mit unseren Einbooten, singend und tanzend, lachend und weinend bei guter Musik  und in Vorfreude auf den Totenschmaus über den See.

Für wenige Stunden verlassen wir den Ort unseres Lebens, überqueren die Passage des Todes und bringen das Leben an den Ort des Todes. Das ist der Kern unseres Lebens, der Kern unseres Volkes und somit der Kern unserer Stadt.Wir leben im Angesicht des Todes, jedoch nicht in Furcht sondern in Akzeptanz. Wir akzeptieren den Tod, wie das Leben. Wir akzeptieren jeden der kommt um mit uns zu leben und jeden der geht um sein Glück zu suchen. Wir leben in einer Einheit mit der Natur und sie lebt mit uns.

Ihr wollt uns besuchen? Dann schließt die Augen, malt euch jede Einzelheit dieser Stadt aus. Dann öffnet sie, holt tief Luft , geht aus eurer Tür und fangt an an ihr zu arbeiten.

Zurück