Fable for the End of the World
Autorin: Ava Reid
Ava Reids 'Fable for the End of the World' (Loewe-Verlag, 2025) entführt uns in ein dystopisches Setting, das sich unangenehm vorstellbar anfühlt. In den überfluteten Niederlanden der Zukunft - Neuamsterdam - lebt die 17-jährige Inesa mit ihrem Bruder Luka und ihrer Mutter in Esopus Creek, einem ärmlichen Randgebiet. Eines Tages führen die angehäuften Schulden der Familie dazu, dass Inesa für den sogenannten “Lauf des Lamms" aufgestellt wird: Bei diesen Läufen, die als Spektakel und Abschreckungsmittel zugleich übertragen werden, muss sie gegen Melinoe antreten: einen "Engel" - halb Mensch, halb Maschine - mit dem Auftrag, sein “Lamm” zu töten. Dass die beiden sich näher kommen, macht die Sache nur komplizierter.
Das Worldbuilding ist zweifelsohne die größte Stärke des Romans. Reid erschafft eine Welt, die beunruhigend vertraut und gleichzeitig erschreckend fremd ist. Die Niederlande halb unter Wasser, die Mutationen, die Wendlinge - Menschen, die durch den Verzehr mutierter Tiere selbst verändert wurden - erzeugen ein stimmiges, düsteres Bild. Das System der Schulden und Credits, das letztendlich über Leben und Tod entscheidet, und die Wettkämpfe erinnern zwar durchaus an Collins’ “Tribute von Panem”, bestechen aber durch eine eigene, innovative Note und fühlen sich daher nicht nach einem Imitat an.
Inesa als Ich-Erzählerin führt uns glaubwürdig durch diese postapokalyptische Welt. Ihr Erzählstil ist leserlich wie zugänglich, ohne die Brutalität der Umstände zu beschönigen. Die Knappheit, die Atmosphäre ständiger Bedrohung werden spürbar und nicht durch sperrige Formulierungen gestört. Besonders die Beziehung zwischen Inesa und Melinoe entwickelt sich überzeugend, auch wenn - oder gerade weil - sie unter unmöglichen Umständen entsteht. Brutal wird es stellenweise durchaus, und Reid scheut sich nicht davor, die Grausamkeit ihres Systems in aller Deutlichkeit zu zeigen. Das passt zur düsteren Atmosphäre, auch wenn es mitunter recht grafisch wird.
Obwohl ich mich grundsätzlich über Standalones freue, weil ich das Gefühl habe, mit Trilogien heutzutage überschwemmt zu werden, stellt dies die für mich größte Schwäche des Romans dar: Auf etwas über 400 Seiten ist am Ende nicht genug Raum, um das Setting ordnungsgemäß zu entfalten. Ich hätte gern mehr über die Hintergrundgeschichte und die Lebensbedingungen erfahren. Das alles wird angerissen, aber nie wirklich vertieft. Dies führt zu Meckern auf hohem Niveau, denn stellenweise fühlt es sich an, als sei mehr versprochen als gehalten worden.
'Fable for the End of the World' ist nichtsdestotrotz eine solide Dystopie mit einem faszinierenden Setting und einer überzeugenden Protagonistin. Wer nach einer innovativen Variation des Hunger Games-Themas sucht, wird hier fündig - auch wenn man sich am Ende wünscht, Reid hätte mindestens einen Band mehr Platz gehabt, um ihre Welt zum Leben zu erwecken.
Erschienen bei Loewe
Autorin / Autor: Louisa - Stand: 2. September 2025