Hinter Glas

Beitrag zum Lyrik-Wettbewerb Connected von Emma S. 16 Jahre

Die Sonne glänzt.
Goldene Butter auf den Feldern.
Ein Kuckuck ruft im Takt mit den Maschinen.
Alles scheint friedlich.
Zu friedlich.

Natur pur, sagen sie.
Natürlich optimiert.
Natürlich lizenziert.
Natürlich im Besitz eines Konzerns,
der Profit mit Photosynthese verwechselt.

Mittendrin ein Tempel aus Stahl und Beton –
gläsern, steril, effizient.
Ein Monument der Machbarkeit.
Darin: Leben auf Standby.
Kühe mit Seriennummern.
Futter vom Band.
Wasser per Algorithmus.
Stille.
Nur das Kauen klingt noch echt.

Touristen kommen.
Mit Funktionsjacke und Filter-App.
Sie sehen, was sie sehen sollen.
#SoGreen #HappyCows #NatureLove
„Wie idyllisch“, sagen sie,
und beißen in Bio-Bananen aus Ecuador.

Ich frage:
„Dürfen die raus?“
„Nicht nötig“, sagt jemand
Mit einem Lächeln aus Beton.
Nicht nötig.
Zwei Wörter wie Mauern.

Später finde ich die Tür.
Unscheinbar.
Abwärts.
Kellerluft.
Feucht.
Schwer.
Hier riecht es nach dem,
was man wegsperrt,
wenn man Fortschritt sagt.

Ein Bein mit einer Nummer.
Ein Sack Antibiotika.
Eine Kamera,
die nie angeschaltet wurde.
Tropf. Tropf. Tropf.
Der Klang der Effizienz,
wenn sie stirbt.

Und plötzlich weiß ich:
Das ist kein Keller.
Das ist ein Spiegel.

Denn auch wir leben hinter Glas.
Mit Aussicht.
Mit WLAN.
Mit Abos für Nähe,
und Filter für Schmerz.
Es ist Käfighaltung mit Komfortoption.
Wir streamen statt fühlen.
Wir posten statt schreien.
Wir weinen leise –
aus Rücksicht auf die Nutzungsbedingungen.
Wir nennen es Freiheit,
aber wir meinen Kontrolle.

Wir sind connected.
Mit allem.
Mit jedem Klick,
mit jeder Milch,
mit jedem toten Akku,
mit jedem blinden Auge,
das wegsieht,
damit das System nicht flackert.

Wir sind die Kühe,
die sich an das Glas gewöhnen.
Die Sonne ist da –
aber sie wärmt uns nicht.
Die Wiese ist nah –
aber sie ist nur ein Bildschirm.

Und draußen?
Draußen wächst das Gras.
Wild.
Widerspenstig.
Echt.

Vielleicht liegt Rettung dort,
wo es stinkt,
wo es laut ist,
wo es weh tut.
Vielleicht beginnt Verbindung
nicht im Netz,
sondern im Keller –
da, wo das Leben noch ungefiltert ist.

Vielleicht müssen wir wieder hinunter.
Den Beton aufbrechen.
Die Filter abreißen.
Die Stille stören.
Damit etwas Echtes bleibt.

Denn wenn alles sauber ist,
stirbt der Dreck,
aus dem wir wachsen.

Und wenn alles glänzt,
verblassen wir.

Autorin / Autor: Emma S.