Wohlstand ist nicht gottgegeben

Beitrag zum Lyrik-Wettbewerb Connected von Jonah Schmidt, 19 Jahre

Der Bürger sitzt in seinem Gemach,
Sinnt lang schon über etwas nach,
Worüber grad noch jemand Sprach,
Im Onlinechat, dann gab es Krach.

„Uns geht´s doch gut“, so schrieb jemand,
„Als Bürger in einem reichen Land,
In Zeit von Frieden und Wohlstand
Frag ich, wie man da jammern kann.
Und wenn, dann werft nur einen Blick
Zurück, wie hold uns heut das Glück!“

Der Pessimist lässt das nicht sitzen,
Kommt zuhauf aus allen Ritzen,
Ganz bequem und anonym
Schreibt er uns seine Meinung hin:
„Du Linksversiffter, halt den Mund!
Uns geht das ganze Land zugrund,
Mit meinem Wohlstand vor dir Hund!
Und du sagst mir, ich soll nicht jammern?“

„Wie manche sich an Angst festklammern“,
Denkt der Bürger, bevor er
Sich denkt: „Wo kommt die Angst wohl her?
Doch sicher nicht von ungefähr.
Manch einer hat´s auch hier wohl schwer.“
Und doch:
Er denkt, dass in diesen Tagen
Viele Leute sich beklagen,
Auch wenn sie keinen Grund zu haben.
Er sieht es klar in seinem Kopf,
Wie der Pessimist in die Tasten klopft,
Auf seinem teuren Apple-Gerät
Laut schreibt, wie schlecht es ihm doch geht.

„Ist fließend Wasser nicht ein Segen?
Und gute Dächer gegen Regen?
Dass wir satt sind, dass wir wählen?
Statt Kriegen uns Formulare Quälen?
Dass für uns Menschenrechte gelten?
Nur dankbar ist man dafür selten.
Fühl dich frei, nach mehr zu streben,
Doch Wohlstand ist nicht gottgegeben.
Nur weil du nicht reich wie ein anderer bist,
Sei nicht gleich so ein spießiger Pessimist!“

Der Bürger denkt, welch Privileg,
Dass er in einer eigenen Wohnung lebt.
Müsste er, was er hat, nun selber machen,
Sein Handy, sein Auto und solcherlei Sachen,
Dann hätte er zweifellos wenig zu lachen.
Würde nicht jemand die Drecksarbeit tun,
Wo stünden er und der Pessimist nun?
Hätten Einwanderer nicht mit den Wohlstand erbaut,
Gäb es nicht, was man durch sie zu verlieren glaubt.

„Nein“, sagt er, „Auch hier geht´s nicht immer rund,
Mit Baustellen, Schulen, Lobbyistentum und
Mit der Bürokratie, doch trotz all dem Schund
Leben wir noch so sicher und gut wie noch nie.
Wer mehr will, der sucht statt Wohlstand den Reichtum,
Und wer das nun will, soll den Reichen es gleichtun,
Doch Unterschied ist doch schon in der Bezeichnung,
Und trotzdem scheint vielen es dieselbe Gleichung.“

„Wohlstand ist selten,
Man muss ihn beschützen.
Verständnis und Arbeit gelten
Als seine Stützen.
Wohlstand, das ist ein sicheres Leben,
Mit dem, was man braucht, und noch etwas mehr.
Hier sollte es Freud´ und Zufriedenheit geben,
Vom Überfluss aber noch etwas entfernt.

Doch wer bitte schuftet für unseren Wohlstand?
Nicht nur wir, sondern auch Menschen im Ausland,
Die schlecht bezahlt schuften, vom Kind bis zum Greise
Für möglichst geringere Supermarktpreise.
Wo Länder beginnen, Wohlstand zu generieren,
Schauen die hin, die meinen, dass wir unseren verlieren.
Wer den Aufschwung andrer als seinen Abschwung erlebt,
Den Wohlstand der andren als Bedrohung versteht,
Ist nur wütend, dass es andren bald so gut wie ihm geht.

So schließt denn der Bürger, ohne zu wagen,
Dem Pessimisten seine Antwort vorzutragen.
Es brächte doch nichts.