mich kotzt das an

Beitrag zum Lyrik-Wettbewerb Connected von Emma, 20 Jahre

mich kotzt das an
immer bauen, bauen, bauen
aber keine Zeit, um zu sein
immer weg
in die Ferien, zur Arbeit, ins «Weekend»
Hauptsache ein Wolkenmeer unter den Flügeln
aber nie Ruhe, nie da
wo doch Zuhause sein sollte

umgeben uns mit teuren Dingen
die nicht benutzt werden dürfen
keine Ecken & Kanten haben
die nicht leben dürfen
obwohl sie alle von warmen Händen geformt wurden
(weil sie könnten ja kaputt gehen)

nein, immer nur weisse Wände
ohne Makel
glänzende Gläser
der teure Tisch unterm Tischtuch
damit er ja keinen Kratzer bekommt
damit er ja nie gesehen wird

spiegeln uns in Silberlöffeln
verzerrt & klein
stopfen Essen in einen Mund
der nichts schmeckt
weil dein Kopf über alles nachdenkt
und ein gutes Gespräch produzieren soll
weil du mit Stille überfordert bist
sie schmerzt
weil du plötzlich verletzlich bist
Masken fallen
obwohl die doch so fest
ans Gesicht geleimt waren

du vermisst
warme Hände,
die dir Tränen von den Wangen wischen

als Trost gibt’s
neue Hosen, neuer Blazer, neues Kleid,
neue Schuhe, neue Ringe, neuer Armreif
neues du, neues ich, neues Hoffen
aus dem Internet
die Nähmaschinen rattern
im halbdunkeln kleiner Lampen auch bei Nacht
so schnell wie deine Gedanken,
du rennst vor einem Gewissen
das mit russgeschwärzten Händen
an deinen weissen Wänden entlangfährt

immer Erfolg und Karriere
streng dich an, sonst wird das nix
streng dich an, sonst bist du nix
streng dich an, sonst lebst du für nix
noch eine Prüfung, noch ein Diplom, noch ein Stempel

es steht auf Papier
wer du bist:
eine Zahlenperson,

so, wie alles andere auch nur Zahlen sind
die toten Kinder in Gaza
die vergewaltigten Frauen im Kongo
der Stundenlohn der Arbeiter in Minenschäften
die Vertriebenen, seit Jahren auf der Flucht
die Jahrzahlen, mit denen das alles angefangen hat

und die Zahlen,
obwohl wir sie kennen,
bleiben leer,
denn die Gesichter dahinter verschwommen,
unsere Augen blind für alles
was grösser ist als unsere Teller, unsere Gläser, unsere Silberlöffel
auf denen uns ein Leben serviert wird
das weicher ist als jedes andere
weil es die sanften Tage der anderen
zusammengesammelt hat
geerntet in Feldern gestohlener Kindheiten

und mich kotzt das an,
dass sie alle so scheinheilig tun
diese grossen Männer
hinter ihren grossen Schreibtischen
mit ihren leuchtenden Bildschirmen
denn nich nur bei uns liegt die Schuld
auch bei ihnen
denn sie saugen den Profit ab
und pumpen noch mehr Probleme in unsere sterbende Welt

wie kann es sein,
dass wir noch nie mehr über diese Welt gewusst haben
und trotzdem immer noch nichts unternehmen?

Autorin / Autor: Emma