07:00 Uhr.
Der Wecker klingelt,
wie jeden Morgen.
Ich setze mich,
schütte etwas Milch
und Müsli dazu.
Routine.
Und doch…
etwas ist anders.
Du wächst in mir,
noch klein
und unscheinbar.
Doch bald
wirst du da sein,
unser Sonnenschein,
Amal.
Dein Name trägt Hoffnung
wie ein Licht,
das den Morgen ankündigt.
Deine Wurzeln liegen in Liebe,
deine Zweige in voller Güte.
Bald trinkst du Milch,
aus meiner Brust,
rein und voller Vitamine.
Sie gibt dir Kraft und Stärke,
lässt dich wachsen.
Die Milch vor mir?
Stammt von einer Kuh.
Das ist klar.
Aber wie lebt sie?
Steht sie frei,
unter der Sonne
auf einer Weide?
oder gefangen
im Schatten,
hinter Beton und Gitter?
Ich esse, trinke,
und kenne nicht einmal ihr Gesicht.
Die Welt, Amal
ist erschöpft und verschmutzt,
und voller Müll,
beladen mit Last,
Hunger, Elend und Schmerz.
Und ich frage mich:
Wie soll ich dir die Welt zeigen?
Will ich, dass du sie so erlebst,
mit all ihren Rissen und Farben,
Schatten und Lichtern?
Ich greife nach einer Banane
für unterwegs,
aus Kamerun.
Weiter Weg,
6.200 km,
um genau zu sein.
Ein Ozean dazwischen,
ein Kontinent,
ein Schicksal entfernt.
Ein kleines Stück Welt,
in meiner Hand.
Ein großes Stück Last
auf meinem Gewissen.
Ich esse, trinke,
und kenne nicht einmal den Bauern.
Jedes Lebensmittel,
jeder Gegenstand,
alles um uns herum,
trägt eine Geschichte.
Fäden verwoben
finden sich bei mir gebündelt
wie ein Wollknäuel
zerzaust und verwirrt.
Meine Entscheidung für das Eine
bewegt das Andere.
Ein Flügelschlag hier,
ein Sturm dort.
Noch neun Monate, Amal.
Dann bist du da.
Dein Zimmer?
Nicht bereit.
Die Welt?
Noch lange nicht.
Und ich?
Ich muss Antworten finden,
damit ich dir alles erklären kann.
Räume schaffen,
in denen du spielen kannst.
Bäume pflanzen,
damit du atmen kannst.
Noch neun Monate.
Dann muss alles bereit sein:
dein Zimmer,
dein Umfeld,
und deine Welt.
Ich brauche Kleidung für dich,
einen Pulli oder zwei.
Schon durch die halbe Welt gereist,
bis er seinen Weg zu dir fand.
Von Baumwollfeldern in Indien
über Produktionshallen in der Türkei
durch Färbereien in Bangladesch
bis zu uns nach Deutschland.
Immer in Bewegung,
ohne Stillstand.
Kommen und Gehen,
wie Ebbe und Flut.
Nichts bleibt auf Ewigkeit,
nur die Vergänglichkeit.
Bald wirst du hier sein,
auf Planet Erde.
Wir werden dich empfangen,
bereit, dein Zuhause zu sein.
Dies ist dein Erbe,
dein Geschenk,
aber auch Aufgabe:
das Lebenselixier,
das dich trägt,
zu schützen und zu bewahren.
Noch neun Monate.
So viel Zeit
und doch zu wenig.
Dann muss alles bereit sein.
Die Kühe auf saftig grünen Wiesen,
die Nahrung aus Erde, die wir kennen,
die Kleidung aus Händen,
die gerecht behandelt wurden.
Damit du nicht nur überlebst, Amal.
Sondern wirklich lebst!