Willkommen in Greenland

Einsendung von Marie Altpeter, 18 Jahre

Würdest du eine Pille schlucken, die dich dein ganzes Leben vergessen lässt?

Stell dir vor, du müsstest alle deine Erinnerungen, Vorlieben und Freundschaften für immer auslöschen, um ein besseres Leben in einer neuen Welt anfangen zu können. Alles aufgeben, um endlich durchstarten zu können. Für manche, die Chance ihres Lebens, für andere eine Katastrophe.

Mia steht irgendwo dazwischen. Sie und ihre Familie haben sich dazu entschlossen einen Neuanfang zu wagen, doch vollkommen überzeugt ist sie noch nicht. Viel Zeit zum Überlegen bleibt ihr nicht mehr. Es ist schon alles vorbereitet. Die Umzugskartons sind gepackt, das Haus verkauft. Ihre Familie ist bereit nach Greenland zu ziehen und endlich Teil einer besseren, grüneren Gemeinschaft zu werden. Der Preis ist hoch, dass ist ihnen nur zu gut bewusst, aber das ist es wert. Oder nicht?

In Greenland sind die Menschen glücklich. Greenland bietet den Menschen eine Chance sich zu verbessern. Die Natur ist dort noch in weiten Teilen erhalten und dort, wo sie zerstört war, wurde sie künstlich wiederhergestellt. Die Menschen ernten frisches Obst und Gemüse direkt aus dem eigenen Vorgarten. Hauptfortbewegungsmittel ist das Fahrrad. Alle leben in einer friedlichen Gemeinschaft. Sie unterstützen sich gegenseitig und verfolgen im stets kritischen Diskurs innovative Ideen und Konzepte. Strom ist dort ein kostbares Gut, welches die Menschen aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Wasser gewinnen. Sie verwenden die Energie stets sparsam und effektiv, um ihre Züge zu befahren und die Wohnungen zu heizen. Auch Müll gibt es kaum noch. Die Menschen dort wissen, wie wertvoll die Ressourcen unserer Erde sind. Fleißig verschenken, reparieren und recyceln sie alles, was sie nicht mehr gebrauchen können. Die Luft dort ist sauber und auch das Trinkwasser und der Boden sind frei von Schadstoffen. Die Menschen dort leben im Einklang mit der Natur.

Aber nicht mehr frei. Es gibt viele Regeln und Maßnahmen, damit es in Greenland auch in Zukunft grün bleibt. Wer dort hin will, muss alles aufgeben und sein altes Leben endgültig hinter sich lassen. Denn wer sich nicht mehr daran erinnern kann wie gerne man mit seinem schnellen Sportwagen über die Autobahn gefahren ist, wird es auch nicht vermissen.

Wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass so stark in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingegriffen werden kann? Nach der großen Klimakatastrophe vor einigen Jahren musste eine radikale Entscheidung getroffen werden. Eine Gruppe von Menschen erbaute Greenland. Ein Ort, an dem die Natur geschützt wird. Die Menschen gaben ihr Bestes, doch sie schafften es einfach nicht sich zu einigen. Wo fängt man am besten an CO2 einzusparen? Wie streng müssen die Regulierung sein? Wohin mit dem ganzen Plastikmüll? Es gab viele Streitereien, bis schließlich nur noch jene in Greenland aufgenommen wurden, die bereit waren alles dafür zu geben. Es wurde entschieden, dass jene, die nicht bereit waren alles für das Klima aufzugeben, es auch nicht verdient hatten, in einer gesunden Umwelt zu leben.

Wieso aber sollte aber sollte sich überhaupt jemand auf diesen Deal einlassen? Die eigene Freiheit ist des Menschen höchstes Gut. Der Selbsterhaltungstrieb überwiegt jedoch. Viele Menschen haben Angst vor den unberechenbaren Folgen der Klimakatastrophe. Sie tun das, was sie für nötig halten und fliehen in eine geschützte Umwelt, so auch Mias Eltern.

Mia kann sich das alles überhaupt nicht vorstellen. Sie möchte ihre Freunde nicht im Stich lassen und auch sie hat Angst vor dem Unbekannten. Sie hat von dieser grünen Utopie nur in Büchern gelesen. Die einzigen Informationen, die aus Greenland herausdringen, zeigen nur, wie toll es dort ist. Mia weiß also nicht, worauf sie sich einlässt. Sie kennt nur ihre Welt. Mit ihrer Familie lebt sie zusammen in einem kleinen Einfamilienhaus. Geheizt wurde dort früher mit Öl, doch seit es keins mehr gibt, muss die Familie im Winter mit dem kleinen Kamin im Wohnzimmer auskommen. Auch das Auto in der Garage wurde seit Jahren nicht mehr bewegt. Die Tankstellen haben schon vor Jahren den Betrieb eingestellt. Gebäude und Straßen zerfallen. Keiner kümmert sich mehr darum. Alle wollen nur noch nach Greenland. Viele Häuser stehen leer. Pflanzen gibt es kaum noch. Mia weiß, dass es in ihrem Wohnort früher einmal einen großen Wald gab. Seit der großen Hitzewelle und der damit einhergehenden Dürre findet man aber kaum noch Spuren davon. Mia erinnert sich, wie ihre Oma ihr damals erzählte, wie die Welt vor der großen Klimakatastrophe aussah. Überall grün. Viele Vögel, Insekten und andere Tierarten. Im Winter Schnee und im Sommer manchmal 30 Grad. Vier Jahreszeiten. Nicht so perfekt wie Greenland, aber doch irgendwie ganz schön. Immerhin besser als die ständigen Hitze- und Kälteperioden mit denen Mia aufgewachsen ist. Doch die Menschen haben alles kaputt gemacht. Sie haben sich von ihrer Gier leiten lassen ohne zu merken, dass sie die Grenze zum unumkehrbaren längst überschritten hatten.

Mia grübelt noch immer. Soll sie mit ihrer Familie nach Greenland gehen oder doch lieber hier zu Hause bleiben mit ihren eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. Wenn es doch nur noch eine dritte Möglichkeit gäbe. Wenn man sich schon früher für eine klimafreundlichere Lebensweise hätte entscheiden können. Wenn man vielleicht manchmal Abstriche machen müsste, aber nicht gleich eine alles verändernde, gedankenlöschende Pille schlucken müsste, dann wäre alles viel einfacher.

Autorin / Autor: Marie Altpeter