Schattenkampf

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Milena Grunow, 21 Jahre

Dunkelheit. Ein knipsendes Geräusch ertönt. Eine Flamme leuchtet zitternd auf und lässt zwei Hände sichtbar werden, die eine das Feuerzeug haltend, die andere eine Zigarette entzündend. Eine dritte Hand greift ins Bild, streckt sich fragend nach dem Feuerzeug aus. „Darf ich?“
Die Flamme berührt den Docht einer  Kerze. Das Schwarz wird von einem flackernden Schummerlicht abgelöst. Im Profil sind zwei Personen erkennbar. Die eine in einen Mantel mit hohem Kragen gehüllt, weiches Gesicht, die Haare hochgesteckt. Die zweite Person, ab und zu Rauchwolken ausstoßend, in die Schatten der Ecke zurückgezogen, lässt männlichere Züge und am Kinn einen Bartschatten erkennen.
„Haben Sie meine Mail erhalten?“
„Sonst säße ich jetzt wohl nicht hier. Es geht um eine Geldforderung?“
„Jemand verlangte Geld von mir, ja. Aber ich bin nicht meinetwegen hier.“
Schweigen
„Es geht nicht um mich, aber die Geschichte beginnt bei mir.“
Schweigen.
„Haben Sie je richtig verzweifelt geliebt? Ich habe geliebt. Und ich bin verzweifelt. Mehrfach. Bis zur Aufgabe meiner Selbstachtung. Das Geld war der Anfang, wissen Sie? Und ich war dumm, habe ihm das Geld gegeben. Auch mehrfach. Wenn ich es nicht tat, folgte erst Flehen, dann Beschimpfungen, Wutausbrüche.“
„Darf ich unterbrechen und eine für mich essentielle Frage stellen? Sie sagten, es gehe nicht um Sie. Wegen wem bin ich dann hier?“
Er beugt sich vor, pustet den Rauch aus, der in langsamen Schwaden nach oben in das Dämmerlicht entschwindet, sein Gesicht von der Kerze erleuchtet. Wachsame schwarze Augen, wie die Panzer kleiner Käfer glänzend. Eine krumme, hakenförmige Nase, schmale Lippen, ein dünner Schnauzer.
„Zeinab. Sie sind wegen Zeinab hier.“
„Wenn Sie jetzt noch die Freundlichkeit besäßen, mir mitzuteilen, wer Zeinab ist.“
„Seine neue Geliebte.“
„Ich hoffe nur das wird kein Eifersuchtsdrama.“
„Im Gegenteil. Aber ich muss ausholen. Lassen Sie es mich erklären.“
„Ich bitte darum.“
„Als ich ihn kennenlernte, war ich wie gesagt jung, naiv und verliebt. Eine Teufelsmischung. Wir sahen uns nicht häufig, da drei Stunden Fahrt zwischen uns lagen, aber die Male, an denen wir uns sahen, ließen mich all die kleinen Risse im Bild vergessen. Nur, sobald ich wieder wegfuhr schlichen sich Bemerkungen über Geldmangel ein. Dann verlor er eines Tages seine Kreditkarte. Er verlor sie tatsächlich, ich war dabei, als es ihm auffiel.
Immer wieder fragte er nach Geld. Immer wieder lehnte ich ab. Ich hatte damals selbst nicht viel. Er wurde wütend, beschimpfte mich als egozentrisch und selbstsüchtig. Zwei Mal half ich ihm mit kleinen Summen aus. Dann erzählte er, seine Mutter wäre krank. Ich glaubte ihm zuerst nicht. Aber was, wenn es stimmte? Es war viel Geld, aber ich hatte es und wollte nicht für den Tod einer Person verantwortlich sein, die ich hätte retten können. Die Realitäten sind dort anders. Ohne Geld keine ärztliche Behandlung. Dazu die Eifersuchtsanfälle. Ich verreiste für ein paar Tage mit Freunden. Er misstraute mir von Anfang an, war überzeugt, ich würde ihn hintergehen. Was völlig absurd war, da ICH eigentlich diejenige hätte sein müssen, die Eifersucht verspürte.“
„Inwiefern?“
„Er war verheiratet. Die beiden lebten getrennt voneinander, hatten aber zwei gemeinsame Kinder. Meiner Meinung nach ein triftiger Grund für Eifersucht.“
„Welche Rolle spielt Zeinab dabei?“
„Das Geld war der Anfang, dann die Eifersucht. Dann folgte Desinteresse an mir, es sei denn, er zog Profit. Ich war verzweifelt und kurz davor, die Beziehung zu beenden, aber ich wollte ihm eine letzte Chance geben. Die Chance hat er genutzt, nur nicht zum Positiven. Um es kurz zu machen, er hat mich vergewaltigt. Im Haus eines Freundes, bei dem wir ungestört reden wollten."
Ihre auf dem Tisch liegende Hand, beginnt zu zittern. Energisch nimmt sie sie fort und versteckt sie in der Manteltasche. „Ich hätte ihn sofort anzeigen sollen, die Polizei rufen, ihn zur Verantwortung ziehen. Ich tat nichts dergleichen. Ich war beschämt, ich hatte Angst, ich wollte nicht vor anderen darüber sprechen. Also verschwand ich. Ich dachte, damit würde ich ihn am meisten strafen. Als er das verstand, rief er mich ununterbrochen an, schrieb mehrmals am Tag Nachrichten. Er flehte mich an, zurückzukommen. Irgendwie wollte ich sogar, aber ich konnte natürlich nicht. Ich blockierte ihn, versuchte zu vergessen. Und dann sah ich sie, vor ca. einem halben Jahr. Er lief auf der anderen Straßenseite vorbei, mit Zeinab. Ich wusste, dass er eine neue Frau hatte, in einem schwachen Moment habe ich ihm geschrieben. Aber als ich sah, wie sie lief, ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Sie humpelte. Nur leicht, kaum merklich, mir fiel es trotzdem auf. Natürlich kann sie sich nur den Knöchel verstaucht haben, aber mein Bauchgefühl sagte mir etwas anderes.“ Sie holt ihre Hände aus den Taschen, stützt sich auf dem Tisch ab, lehnt sich vor. Er legt den Kopf schief, drückt die Zigarette aus.
„Sie glauben er schlägt sie?“
„Ich weiß es. Sie hat es mir erzählt. Die Begegnung ließ mir keine Ruhe, also kontaktierte ich sie. Sie war so erleichtert, mit jemandem reden zu können. Mein Gott, sie will ihn verlassen, aber sie kann nicht. Sie hat Angst, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren. Und er weiß das, manipuliert sie, schürt ihre Angst. Eine Scheidung wäre nicht zu kompliziert, wenn sie die Polizei gerufen hätte, als er sie schlug, wenn sie Zeugen für die Verletzungen hätte, aber das hat sie nicht. Und da kommen Sie ins Spiel.“
„Inwiefern?“
„Lassen Sie Beweise auftauchen, die stichhaltig genug sind, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen, ohne Zeinab weiteren Schaden zuzufügen. Wenn Sie meine Hilfe dazu benötigen, dann bin ich zu Allem bereit, solange es keine weiteren Personen verletzt.“
„Warum ist Ihnen das so viel wert?“
„Weil ich Gerechtigkeit suche. Weil ich es nicht verantworten kann, durch meine damalige Zögerlichkeit weitere Menschen in Gefahr zu bringen.“
Stummes Traktieren. Er reicht ihr schließlich die Hand, sie ergreift sie, entschlossen. In der Kerze verglüht ein Aschekrümel.

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Autorin / Autor: Milena Grunow, 21 Jahre