Metall

Beitrag zum Kreativ- und Schreibwettbewerb "Das ist mir was wert" von Marlene, 15 Jahre

Ich haste durch den Regen die Straßen entlang. Als ich stehen bleibe und nervös auf die Turmuhr über mir schaue, fallen mir Regentropfen ins Gesicht und die nassen Haare kleben an meiner Wange.
Schon fünf vor drei, stelle ich erschrocken fest und renne weiter. Als ich an der Ampel stehen bleibe, merke ich, wie mich eine ältere Dame von der Seite anstarrt. Als ich demonstrativ zurückschaue, sehe ich Missachtung und Unverständnis in ihrem Blick und sie schaut schnell weg. Die übliche Reaktion - jeder glaubt anhand meines bloßen Aussehens meinen Lebensstil erkennen zu können. Das Metall in meinem Gesicht und die Farbe an meinen Armen lässt sie auf ein Leben ohne Job, ohne Abschluss und mit einer Menge Schulden durch Drogen oder Trinkerei schließen. Am liebsten würde ich ihnen ins Gesicht schreien, wie oberflächlich ein solches Urteil ist. Doch was würde mir das bringen? Nur einen weiteren missachtenden Blick.
Ein Taxi hupt neben mir und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich überquere die Straße und erreiche ein schickes, modernes Bürogebäude. Ein Portier zieht die schwere Glastür auf und ich nicke ihm zu, als ich die Lobby durchquere und der Dame am Empfangstresen meinen Namen sage. Man weist mich an, den Flur hinunterzugehen und dort mit dem anderen Bewerber zu warten.

Als ich ankomme, sehe ich eine adrett gekleidete Frau mit blonden Haaren, die ihr in perfekten Wellen über die Schulter fallen, auf einem der Stühle sitzen. Sie trägt einen engen schwarzen Rock, eine schlichte Bluse und einen schicken weißen Blazer darüber. Ihre Beine hat sie elegant übereinandergeschlagen, während sie leicht mit dem Fuß wippt. Als sie ihre perfekt geschminkten roten Lippen zu einem unechten Lächeln verzieht - wohl eher ein süffisantes Grinsen -, merke ich, wie ich sie anstarre und setze mich schnell auf den Stuhl gegenüber. Als ich mein Handy aus der Tasche ziehe, spüre ich ihre missbilligend musternden Blicke auf mir. Plötzlich bin ich verunsichert und fühle mich unwohl in meiner Haut. Ich starre auf meine Netzstrumpfhose und den schwarzen Rock, der mir bis knapp an die Knie reicht. Nervös spiele ich mit der Zunge an meinem Lippenpiercing und trommle mit den schwarz lackierten Fingernägeln ungeduldig auf meinem Knie herum.
Als ich verstohlen nach oben sehe, schaut die Frau schnell weg und setzt wieder ihre unbeteiligte, arrogante Miene auf.
Verdammt, denke ich, gegen die habe ich keine Chance. Sie passt perfekt in diese Kanzlei. Sie sieht aus wie alle hier: dezent geschminkt, elegant und klassisch gekleidet, ohne Makel. Praktisch das Gegenteil von meinem gewagten Punk-Look.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr verlässt mich der Mut. Als ich kurz davor bin, aufzustehen und zu gehen, wird die Tür mit der Aufschrift „Rechtsanwältin Anja Vogel“ geöffnet und eine Dame, die ein Klemmbrett in der Hand hält, ruft meinen Namen. Mit zitternden Knien stehe ich auf und laufe in ihre Richtung. Mir wird schwindelig vor Nervosität und das Zimmer scheint sich langsam zu drehen. Die Assistentin mit dem Klemmbrett hält mir die Tür auf. Ich trete ein und mein Blick fällt sofort auf die Frau hinter dem großen Schreibtisch.
Bunte Bilder zieren ihre Haut, Metallringe ihr Gesicht und sie steckt eine pinke Haarsträhne hinter ihr Ohr, als sie mich mit einem warmen Lächeln begrüßt.

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