Vom Regen in die Traufe

Wettbewerbsbeitrag von Julia Danler, 24 Jahre

Tag 1.487 nach dem Untergang. 14:30 Uhr. Zumindest zeigten das die Uhren an. Als ob Zeit hier noch eine Rolle gespielt hätte…
Trotzdem wurden die Luken immer auf die Minute genau geöffnet. Ich schaute durch eines der runden Gucklöcher in das Dunkel des Alls, sah den Abfall in der Schwerelosigkeit schweben. Irgendwie erinnerte mich dieses Bild an Plastik, das im Meer umhertrieb. Wie früher. Zu Hause. Wir Menschen schienen uns nicht zu ändern. Wir machten dieselben Fehler wie damals, nur in weit größerem Ausmaß.

Seit 2025 befand sich die Menschheit – oder das, was von ihr übrig war – auf der „New Hope“. Was für eine Ironie. Mir entkam ein gehässiges Schnauben beim Gedanken daran. Hoffnung... manche hatten die Hoffnung gehabt, den Planeten Erde vielleicht doch noch retten zu können. Doch egal, wie laut deren Stimmen geworden waren, sie waren nicht gehört worden, ja, wurden sogar zum Schweigen gebracht.

Ich wurde durch das schrille Quietschen der Lautsprecher jäh aus meinen Gedanken gerissen. Welch wichtige Botschaft musste uns diesmal mitgeteilt werden? Dass der Kapitän heute seinen Fünfziger feierte? Oder dass gar der widerlich nach Chemie schmeckende Pudding an Bord alle war?
„Meine Damen und Herren“, tönte es aus dem Lautsprecher. Auf Deutsch natürlich, schließlich befanden wir uns im deutschsprachigen Sektor des Schiffes. Ich schüttelte den Kopf bei dem Gedanken. Den Nationalismus schienen wir selbst im grenzenlosen All nicht ablegen zu können. „Das Ziel wurde soeben gesichtet.“

Warte, was?

Ich blickte mich um. Sah in freudige, ungläubige und von der Reise zermürbte Gesichter. Die anderen schienen es auch nicht glauben zu können, trotz der Ankündigung. Terra II, das Ziel der „New Hope“ wurde angeflogen. Allerdings sollten wir nicht die einzigen Lebewesen dort sein. Der Planet war bewohnt. Die Masse sollte sich bei der Ankunft daher ruhig und passiv verhalten, wurde uns aufgetragen, die gewählten Diplomaten würden verhandeln. Schließlich waren sie es auch, die den Kontakt mit den Aliens hatten herstellen können.

Wir sollten uns an den Ausstiegen der jeweiligen Sektoren versammeln. Zwanzig Minuten wurden uns für das Packen des wenigen Hab und Guts gegeben, das wir von der Erde hatten retten können. Ein Koffer, eine Tasche. Das war alles. Mein Leben in diesen zwei Gepäckstücken. Wie Sardinen in der Dose aneinandergedrückt drängten sich die Menschen in der flüsternden Menge vor den Ausstiegen, die meisten wirkten gespannt auf unsere neue Heimat. Die Luke öffnete sich. Was wir sahen, ließ uns verstummen.

„Willkommen, Freunde“, wurden wir begrüßt. Uns standen Menschen gegenüber. Oder zumindest sahen die Aliens – wobei wir ja jetzt eigentlich die Aliens waren, aber egal – aus wie Menschen. Nach erstem Schock nicke ich. Natürlich. Uns wurde gesagt, sie könnten ihr Aussehen nach Belieben anpassen. Vermutlich wollten sie uns nicht verschrecken. „Seid unsere Gäste!“

Tag 1.885 nach dem Untergang. Offiziell Tag 398 nach der Ankunft. Man sollte doch das neue Leben, die zweite Chance, die wir erhalten hatten, als Zäsur betrachten, so die Begründung für die neue Zeitrechnung. Uhrzeit ungewiss. Als ob Zeit hier noch eine Rolle gespielt hätte …

Eine wässrige Suppe wurde verteilt. Es musste also um Mittag sein, auch wenn die Tage auf Terra II länger waren als zu Hause. Zumindest fühlten sie sich länger an. Wir drängten uns an die langen Tafeln, die in der Großen Halle des Auffanglagers aufgestellt waren. Der Platz neben mir, der normalerweise von H-104 besetzt war – seinen richtigen Namen kenne ich nicht – war heute leer. Es wunderte mich nicht. Gestern hatte er sich über die medizinische Versorgung im Lager bei den Einheimischen beschwert. War früher glaube ich mal Arzt oder so. Als ob das noch von Bedeutung wäre. Ihn hatte sein toller Uni-Abschluss jedenfalls nichts als Ärger eingebrockt, wenn man bedenkt, dass er für seine Unverschämtheit nun entweder im Loch saß oder sogar liquidiert worden war. Die Einheimischen tolerierten keine Aufmüpfigkeit. Nicht, nachdem sie uns aus dem All geholt, uns ohne Gegenleistung empfangen und ihren Planeten und Ressourcen mit uns geteilt hatten. Das Mindeste, das sie erwarten konnten, war doch unser aller Dankbarkeit!

Bei dem Gedanken knirschte ich mit den Zähnen. Wir durften nicht arbeiten. Wir lebten zusammengepfercht in den eingerichteten Lagern. Wir wurden als mindere Spezies behandelt. Und Dankbarkeit wurde erwartet. Auf Knien sollten wir vor ihnen kriechen und ihnen die Füße küssen für ihre Großzügigkeit.
Wir überlebten hier. Aber wir lebten nicht.

„Vom Regen in die Traufe“, murmelte ich und schob mir einen Löffel Suppe in den Mund.

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Die Über All Lesung

Lasst euch von sieben der Preisträger:innen des Wettbewerbs Über All in ferne Welten entführen

Die Über All-Preisträger:innen

Vielen Dank an alle Teilnehmenden für diese spannenden Exkursionen ins All und herzlichen Glückwunsch den Preisträger:innen

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Schirmherrin Dr. Suzanna Randall

EINSENDUNGEN

Autorin / Autor: Julia Danler, 24 Jahre