Mode als politisches Statement?

Was sagt Kleidung eigentlich über uns aus? Und kann man politische Ansichten am Modestil erkennen? Pia hat sich umgeschaut und Überlegungen angestellt.

Foto: Rika Amshoff

Ich wohne fürs Studium in Bayern. Bis vor kurzem war hier eine ganz besondere Zeit – nämlich gleichzeitig Wiesn und Wahlkampf, was bedeutet, dass man besonders viele Menschen mit Trachten in den Regionalzügen antrifft. Die, die tagsüber in Trachten nach München fahren, sind auf dem Weg zum Oktoberfest; die, die weder zu früh noch zu spät in Trachten woanders hinfahren, sind vielleicht auf dem Weg zu einer CSU-Wahlkampfveranstaltung.

Diese Erkenntnis fand ich irgendwie lustig, aber auch überraschend. Ist es manchmal so einfach, an der Kleidung von Menschen zu erkennen, was für eine politische Meinung sie haben? Klar, wenn man in Tracht zur Wiesn fährt, sagt man damit eher wenig aus. Höchstens vielleicht, dass man gerne Bier trinkt. Trachtenkenner*innen unterscheiden dann vielleicht zwischen einer billigen Verkleidungs-Lederhose und einer richtigen und können Aussagen darüber treffen, wer seine Tracht nur einmal im Jahr trägt, und zwar anlässlich des Oktoberfests, und wer mindestens auch noch auf das Münchener Frühlingsfest geht, sodass sich eine ordentliche Tracht lohnt.
So viel zum Oktoberfest. Trägt man die eigene Tracht aber, weil man auf dem Weg zu einer CSU-Wahlkampfveranstaltung ist, äußert man damit schon mehr. Man ist mindestens genug interessiert an der Partei, um mittelweite Wege auf sich zu nehmen, um eine Rede zu hören. Also ist man wahrscheinlich eher konservativ. Vielleicht könnte man mit dem Auto fahren, man tut es aber nicht, also ist man eher umweltbewusst oder möchte auf der Veranstaltung ein Bier trinken. Bei CSU-Wählenden ist, fürchte ich, eher das Zweite der Grund.

Natürlich ist es unmöglich, all das sicher zu sagen, und sicher gibt es auch zwischen diesen beiden Polen eine Menge Lederhosen. Letztens am Bahnhof habe ich zum Beispiel eine Frau in Lederhosen gesehen – genial. Aber war sie auf dem Weg zur Wiesn, oder auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung? Und wollte sie mit der Lederhose gegen das Klischee rebellieren, oder hatte sie einfach Lust auf traditionelle Kleidung, nur eben nicht auf ein Dirndl?

Trotzdem macht es einfach Spaß, ein bisschen Sherlock Holmes zu spielen. Deshalb habe ich angefangen, mich ein wenig genauer umzusehen.

Welche Statements stecken in meiner Kleidung?

Es kann nicht schaden, bei mir selbst anzufangen. Ich hatte noch nie viel Spaß daran, in irgendwelchen Kaufhauskabinen zu stehen und mich am laufenden Band umzuziehen. Das, sowie eine gewisse Abneigung dagegen, mich auf den ersten Blick in eine Schublade stecken zu lassen, hat dazu geführt, dass mein Kleiderschrank lange Zeit fast ausschließlich aus Basic-Klamotten von C&A bestand. Natürlich bewahrt einen das nicht davor, mit seiner Kleidung irgendeine Form von Eindruck zu hinterlassen. In meinem Fall war das wohl eine Mischung aus „mode-uninteressiert“ und „Mutter konnte die kaputten T-Shirts nicht mehr mit ansehen und hat neue besorgt“. Immerhin bin ich auf diese Weise damals darum herumgekommen, ein politisches Statement abzugeben.

Irgendwann hatte ich das dann aber doch satt, und im Zusammenspiel mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein habe ich angefangen, kaputte Kleider durch etwas liebevoller ausgewählte Teile aus dem Second-Hand-Laden zu ersetzen. Mit meinen Streifenshirts und meiner Latzhose oute ich mich inzwischen als Öko, allerdings achte ich nach wie vor darauf, mir diesen Stempel nicht allzu feste aufzudrücken. Ich möchte, dass Leute mir begegnen können, ohne dass sie gleich alle meine Ansichten zu kennen glauben.

Aber lässt sich so etwas überhaupt ablesen? Und kann man das auch, wenn man (so wie ich) eher wenig Ahnung von Mode hat? Finden wir es heraus.

Die Botschaft auf dem Shirt

Am einfachsten ist die Sache natürlich, wenn Leute ihre politischen Meinungen einfach als Parole auf dem T-Shirt stehen haben. „Black Lifes Matter“, „Car is Over“, „Think Green“, und so weiter. Das zeugt dann schon einmal von einer klaren Haltung gegen Rassismus oder für Nachhaltigkeit. Derartige Themen werden traditionell eher von Parteien links der Mitte bearbeitet. Besonders in Bezug auf Nachhaltigkeit habe ich zwar noch nie verstanden, weshalb konservative Parteien das nicht ebenso wichtig finden. Aber in unserem Fall ist nur wichtig, dass uns das darauf schließen lässt, dass Menschen mit solchen T-Shirt-Aufschriften wahrscheinlich eher links als rechts orientiert sind.
Okay, das war einfach. Aber sagen uns T-Shirt-Aufschriften noch mehr? Um die eigene Meinung derart klar zu äußern, braucht es einen gewissen Mut. Man riskiert, von Andersdenkenden sofort erkannt und mindestens schief angeschaut zu werden. Also ist man entweder ein Mensch, dem das absolut nichts ausmacht, oder man findet das Thema, das man nach außen trägt, so wichtig, dass man schiefe Blicke dafür in Kauf nimmt.
Ich habe mal gehört, dass jeder Mensch gewisse Grundbedürfnisse hat. Eines davon ist soziale Anerkennung. Wir brauchen immer eine gewisse Bestätigung von irgendeiner Seite. Wenn Leute also bereit sind, T-Shirts zu tragen, für die sie schief angeschaut werden können, spricht das dann dafür, dass sie eine sichere Beziehung zu Leuten haben, die ihre T-Shirt-Aussagen unterstützen? Vielleicht sind sie sogar Teil einer Gruppe, die allesamt solche Slogans trägt, und sie benutzen ihre Kleidung zur Identifikation mit dieser Gruppe.

Second Hand und Vintage: Ein Statement für Nachhaltigkeit?

Bevor ich aber zu sehr in pseudowissenschaftliche Überlegungen verfalle, schnell weiter zur nächsten Beobachtung.
Es ist populär geworden, alte Kleidung auszugraben und neu zu entdecken, anstatt ständig neue Kleidung produzieren zu lassen – zur Abwechslung mal ein richtig gesunder Modetrend. Aber was lässt sich daraus schließen?

Wer Second Hand getragen hat, bevor das populär geworden ist, war entweder finanziell nicht gut aufgestellt oder sehr umweltbewusst. Heute lässt sich das nicht mehr ganz so einfach sagen. Wohl gehört noch immer zumindest ein bisschen Umweltbewusstsein dazu, Secondhand-Mode zu tragen. Aber selbst wenn dem so ist, hilft uns das als Beobachter*innen kaum weiter. Denn sofern nicht jemand von uns wirklich Sherlock Holmes ist, werden wir niemals erkennen, ob Kleidung, die jemand trägt, tatsächlich Secondhand ist oder nicht.
Zum einen wissen wir inzwischen ja alle, dass Mode weder obligatorisch ausgebeult noch von Motten umflattert ist, nur weil sie irgendwann vorher schon einmal von jemandem getragen wurde. Zum anderen ist selbst die Zeit, aus der das Kleidungsstück zu stammen scheint, kein richtiger Anhaltspunkt mehr. Es ist populär geworden, Kleidung anzuziehen, die vor vielen Jahren modern war – Vintage eben. Einen besonders großen Raum nimmt hier die Mode der 80er ein. Aber sind alle 80er-Jahre-Jacken, die wir heute sehen, wirklich original und damit Secondhand, oder sind es moderne Kopien? Vielleicht gibt es Leute, die da Unterschiede erkennen, aber ich gehöre jedenfalls nicht dazu.

Und selbst wenn wir sicher wüssten, dass die Kleidung, die wir vor uns haben, wirklich gebraucht ist: Drücken Menschen, die sich damit im 80er-Stil kleiden, wirklich Umweltbewusstsein aus? Oder vielleicht eher, dass sie ein wenig anders sein wollen? Oder dass sie sich nach dem Leben in einer Zeit sehnen, von der wir heute wissen, dass die konkretesten Probleme – vom sauren Regen über das FCKW-Verbot bis zum Mauerfall - gelöst wurden? Oder doch nur, dass sie Bohemian Rhapsody geschaut haben und jetzt Queen-Fans sind?
Cool sieht das Ganze jedenfalls aus, aber was politische Ansichten angeht, so lässt mich diese Beobachtung ratlos zurück.

Noch ratloser allerdings werde ich, wenn ich höre, dass manche Menschen heutzutage nur Kleidung anziehen wollen, die so aussieht, als sei sie vintage. Man kauft sich also neue Kleidung, damit es so aussieht, als ob man gebrauchte Kleidung anhätte. Hä?
Ordnet man sich damit einem Flair des Umweltbewusstseins zu, ohne umweltbewusst sein zu wollen? Lautet das politische Statement in diesem Fall: Nachhaltigkeit ja, aber nur solange man keine Kaufgewohnheiten dafür ändern muss…?

Okay, das war gemein. Ich gebe es zu: In diesem Fall ist es wahrscheinlicher, dass die Betroffenen einfach die Kleidung ausgewählt haben, die sie schön fanden, und sich nicht so viele Gedanken darüber gemacht haben, was sie damit ausdrücken wollen.

Vielleicht sollte ich mich mit meinen Beobachtungen also nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Kleidung kann ein politisches Statement sein – aber nicht jede Form von Kleidung erzählt gleich eine parteipolitische Geschichte. Und das ist vielleicht auch gut so. Wenn wir allein beim Anblick aller Menschen schon wüssten, wie sie denken, wäre das Leben doch eindeutig langweiliger.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projekts "Klima & Klamotten" entstanden.

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Autorin / Autor: Pia H. - Stand: 17. November 2023