Frühstück im Weltall

Wie sehen Menüpläne für Astronaut:innen aus? Was tun gegen Knochen- und Muskelschwund im All? Warum sind Krümel in Schwerelosigkeit so gefährlich?
Im Interview gibt die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Heer spannende Antworten.

Matthias Maurer beim Frühstück (Bild: NASA/ESA - CC BY-NC-SA 2.0)

Wie kommt denn eine Ernährungswissenschaftlerin zur Luft und Raumfahrt-Medizin, das ist ja eher ein ungewöhnlicher Schwerpunkt. War das schon immer ihr Traum?

Nein, es war wirklich Glück und Zufall, was mir da in meinem Studium im Jahr 1986 oder 1987 widerfahren ist: Ein Mitarbeiter des Instituts für Flugmedizin im Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) suchte für ein Tieftaucher-Experiment einen ausgewogenen Ernährungsplan für die Probanden. Eine Kommilitonin und ich meldeten sich daraufhin, weil wir beide auch sehr gerne kochten. In diesen Experimenten wurden die Probanden in eine simulierte Tiefe von 600 Metern mit den entsprechenden Druck- und Gas-Verhältnissen gebracht und wir bereiteten für sie die Abendessen vor, und natürlich auch für die Mitarbeiter. Die Mitarbeiter waren hellauf begeistert und das hat auch wirklich Spaß gemacht.
Ein Jahr später sollte in einer anderen Abteilung ein Analog-Experiment für Weltraumflüge durchgeführt werden, bei dem die Probanden 10 Tage lang in einer Kopftieflage verbringen sollten, also in einer Lage, bei der der Kopf 6 Grad tiefer als die Füße gelagert war. Auch hier haben wir die Menü Pläne gemacht. Und weil es damals noch keine Nährwertesoftware gab, haben wir erstmal die Daten von den einzelnen Lebensmitteln, die wir verwenden wollten, in eine Excel Datei geschrieben und haben dann in der Nacht davor für den nächsten Tag die Menü Pläne gemacht. Das war eine harte Zeit, aber es hat extrem viel Spaß gemacht. Dann wurde ich gefragt, ob ich die Ergebnisse auswerten möchte, und da ich ja gerne Forschung machen wollte, war das ganz toll. Von da an, also 1988 bis 2009 habe ich dann in diesem Institut gearbeitet und habe am Ende die Abteilungsleitung der Weltraumphysiologie gehabt und dort bis zur Habilitation meine wissenschaftliche Laufbahn verbracht. Es hat mir viel Spaß gemacht, es war wunderbar, aber wie gesagt, es war reiner Zufall.

Es ist ja schon seltsam, also für fast alle Menschen ist Ernährung eigentlich fast das wichtigste Thema. Aber geht es um die Raumfahrt, wird irgendwie nur selten darüber gesprochen

Das stimmt, aber Raumfahrt ist ja auch sehr technisch orientiert, und da ist die Nahrung und die Ernährung der Astronaut:innen so ein bisschen ein Stiefkind. Allerdings gibt es auch Fortschritte! Zusammen mit meinem Kollegen bei der NASA, Scott Smith, Leiter des Nutritional Chemistry Lab, der natürlich viel mehr Astronauten zu betreuen hat als ich das jetzt mache, konnten wir über unsere Forschungsarbeiten deutlich zeigen, dass die Nährstoffversorgung schon sehr ausschlaggebend ist für das Wohlbefinden der Weltraumfahrer, und damit indirekt auch für den Erfolg der Mission.

Was passiert denn im Körper, wenn er sich in der Schwerelosigkeit des Alls befindet?

Nun, ein Körper in der Schwerelosigkeit hat ja nicht mehr mit der Schwerkraft zu kämpfen, das heißt, die Muskeln in den Beinen, in der Hüfte und in der Wirbelsäule erfahren keine mechanische Belastung mehr und bauen sich ab. So wie sie das auch tun würden, wenn man sechs Monate nur im Bett liegen würde. Darauf muss die Ernährung sich einstellen und sie darf diesen Prozess nicht auch noch fördern. Das konnten wir in den letzten 30 Jahren unserer Forschung schon sehr gut aufarbeiten. Es geht um das Thema Energiezufuhr: um Knochen oder Muskeln aufzubauen, braucht man ausreichend Kalorien. Das Problem ist: die Astronauten haben ein vermindertes Hungergefühl, beziehungsweise fühlen sich schneller gesättigt. So ist die Energiezufuhr im Durchschnitt ungefähr 25% niedriger als der Bedarf. Unser Ziel ist also, zu schauen, dass die Astronauten ausreichend Energiezufuhr haben. Und das wird dokumentiert in Form eines Diät-Tagebuchs, indem exakt notiert wird was sie verzehren. Relativ früh in der Mission wird dann schon ausgewertet und wir können den Astronauten empfehlen, dass sie vielleicht noch ein paar energiedichte Lebensmittel mehr zu sich nehmen könnten.

Wie sieht dann das Essen im All eigentlich aus?

Ja, also das ist nicht die Astronauten-Kost, wie man sie auf der Erde kennt und den Patienten verabreicht wird. Astronauten-Nahrung ist eigentlich nur besonders zubereitet und zwar so zubereitet, dass sie fast keimfrei ist, denn man möchte natürlich auf gar keinen Fall in irgendeiner Form eine Lebensmittelvergiftung hervorrufen. Also werden die Produkte in den Packungen sterilisiert, also unter Druck auf 120 Grad hoch erhitzt oder sie werden gefriergetrocknet. Es gibt gefriergetrocknete Erdbeeren, Spargel, Bohnen mit Champignons, Shrimps-Cocktail und sogar ein Steak, was zwar gegart ist, aber nicht mehr so viel Wasser wie auf der Erde enthält.

Und dann gibt es auch Gerichte, die von einem französischen Drei-Sterne-Koch entwickelt wurden. Überhaupt entwickelt für die ESA-Astronauten immer auch ein Koch des Landes aus dem der Astronaut kommt, Rezepturen, damit sich die Astronauten auch ein bisschen wie zuhause fühlen können. Viele der Produkte sind natürlich amerikanischer Herkunft, also wird von den Amerikanern von der NASA gestellt. Es gibt aber auch japanische Produkte, denn es gibt ja unterschiedliche Kulturen an Bord, die alle ein bisschen Heimat erfahren wollen.

Gibt es auch Getränke? Geht das überhaupt in der Schwerelosigkeit?

Ja, die Flüssigkeitszufuhr ist ein weiterer sehr wichtiger Aspekt. Und ja, es werden definitiv Getränke mitgeführt. Natürlich alles gefriergetrocknet: Diverse Fruchtsäfte, die mit Wasser aufgefüllt werden. Kaffee oder Tee mit und ohne Zucker, mit und ohne Süßstoff, mit Milch und ohne Milch, Wasser mit einem Hauch von Limone oder einem Hauch von Orange. Getränke sind auch ein wichtiger Punkt, weil nicht nur das Hunger-Gefühl abnimmt, sondern auch das Bedürfnis zu trinken. Wenn wir uns dann die Tagesmenü-Pläne anschauen oder die Aufzeichnungen der Astronauten, müssen wir auch immer überprüfen, ob sie genügend Flüssigkeit zu sich nehmen. Denn ungenügende Flüssigkeitszufuhr birgt gesundheitliche Risiken, denen die Astronauten sowieso schon ausgestezt sind, weil sie sich im All befinden. Das möchte man nicht noch weiter verstärken. Die Risiken für Nierenerkrankungen und Nierensteine bestehen schon allein darin, dass Knochen abgebaut werden, und da der Knochen Calcium enthält, steigen die Calcium-Konzentrationen im Blut an, was wiederum in den Nieren zu Nieren- oder Harnsteinen führen kann. Um dieses Risiko zu minimieren, trinken wir ja auch im Alltag mehr, und das sollten Astronauten erst recht tun.

Gibt es einen Unterschied zwischen der Ernährung für männliche und weibliche Astronauten?

Nein, da wird kein Unterschied gemacht, beziehungsweise die Art der Ernährung ist nicht unterschiedlich. Was wir machen bei allen europäischen Astronauten, wir messen den sogenannten Ruhe- (Nüchtern-)Umsatz, also wieviel Energie verbrauchst du, wenn du dich in Ruhe befindest für Herzschlag, Atmung, Muskel-Funktionen etc. ohne dich irgendwie körperlich groß zu bewegen. Das ist je nach Typ unterschiedlich. Also Frauen haben vielleicht einen geringeren Ruhe- (Nüchtern-)Umsatz als Männer, weil sie weniger Muskelmasse haben, und dann berechnen wir für den individuellen Astronauten, wie hoch sein Energieumsatz sein wird. Das machen wir davon abhängig, wie aktiv er ist. Manche sind sehr aktiv und machen sehr viel Sport, andere machen weniger Sport. Das schlagen wir dann auf den Ruhe- (Nüchtern-)Umsatz drauf und haben so den individuellen Kalorien-Bedarf für jeden Astronauten, den er übrigens mithilfe einer App selbst über den Tag verteilt dokumentieren kann. So kann er am Abend sehen, wieviel er noch zu sich nehmen sollte, um seinen Energiebedarf zu decken.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Entwicklung von Nahrungsmitteln für das All?

Sie darf nicht bröckeln, also darf auf gar keinen Fall krümeln. Denn Krümel können zum einen Filter verstopfen, zum anderen können sie wie ein Geschoss ins Auge gehen. Russische Forscher haben das zum Beispiel so gelöst, dass sie Brotstückchen in Öl getränkt haben, sodass das Brot nicht krümeln kann. Andere wickeln die Speisen in Tortillas ein, die ebenfalls nicht bröckeln.
Außerdem dürfen Nahrungsmittel auch nicht so flüssig sein. Wenn also eine Rezeptur zubereitet und in eine Dose gefüllt wird, dann sollte keine Flüssigkeit herausfliegen. Das Ganze muss dann etwas gallertartig sein, damit man es aus der Dose löffeln kann.

Gilt das auch für die Getränke?

Die Getränke befinden sich in solchen Behältern, die ähnlich aussehen wie die Getränketütchen vom Kiosk, die mit Orangensaft gefüllt sind. Die Behälter haben einen Verschluss, in den man einen mit dem Mund verschließbaren Strohhalm steckt. Und man kann die Getränkebehälter auch am Raumanzug fest kletten, sodass man das Getränk überall hin mitnehmen kann.

Wie fühlt sich das denn an, wenn man in der Schwerelosigkeit was schluckt?

Es gibt ja in der Speiseröhre eine Peristaltik - also eine Muskeltätigkeit, die die Nahrung zum Magen hin bewegt. Dadurch gibt es kaum einen Unterschied, ob man in der Schwerelosigkeit etwas isst oder auf der Erde.

Nutzen die Erkenntnisse zur Ernährungsweise von Astronauten uns auch auf der Erde? Für Nicht-Astronaut:innen?

Ja, denn es gibt viele Parallelen zu älteren Menschen, sei es also vermindertes Hungergefühl, vermindertes Durstgefühl, Knochenabbau, Muskelabbau etc. Was wir also an Erkenntnissen im All haben, versuchen wir auf den älteren Menschen zu übertragen.
Und der Vorteil des Astronauten ist ja, er ist gesund. Beim älteren Menschen gibt es üblicherweise viele Komorbiditäten (das gleichzeitige Vorkommen von zwei oder mehr verschiedenen Erkrankungen), die auch möglicherweise Knochen- und Muskelabbau verursachen können. Oder nehmen wir das Beispiel Kortison - das verursacht auch Knochenabbau.

Wir haben mal ein Experiment gemacht, bei dem wir eine höhere Proteinzufuhr gegeben haben. Unsere Hypothese war, dass wir damit einerseits die Proteinsynthese in Bettruhe verbessern können, und andererseits die Glucosetoleranz, also die Fähigkeit des Körpers, den Blutzuckerspiegel zu regulieren, erhalten. Bei beiden Gruppen, den Astronauten und auch Personen, die immobil werden, verschlechtert sich sehr schnell die Glukosetoleranz. In der Literatur war es dargelegt, dass wenn man die Proteinzufuhr erhöht, sich die Glukosetoleranz verbessert. Und dann haben wir das kombiniert. Wir erhöhten die Proteinzufuhr auf über 200 % und schauten, was passiert. Das Ergebnis war: Wir konnten die Glukosetoleranz verbessern, aber es machte überhaupt nichts bei den Muskeln aus, denn um die Muskeln zu erhalten, brauche ich nicht nur Proteine, sondern auch einen Stimulus, also einen Reiz, der eine Reaktion auslöst. Das heißt, ich muss das natürlich mit dem idealen Training verbinden, was man dann aber noch finden muss. 

Prof. Dr. Martina Heer

Was möchten Sie als nächstes erforschen? Oder was ist eine Frage, die Sie bezüglich der Raumfahrt am brennendsten interessiert?

Eine Frage, die mich am meisten interessiert, ist: Kann man über eine bestimmte Nährstoffzufuhr oder auch ein bestimmtes Supplement die Veränderungen in Schwerelosigkeit zumindest zum Teil kompensieren? Auch in der Schwerelosigkeit haben wir das Thema Darmflora, Veränderungen der Darmflora, Probiotika, Präbiotika. Und das ist eigentlich das, was mich im Moment wirklich interessiert. Kann man möglicherweise die Absorption von Nährstoffen verbessern? Hat das auch einen Effekt für den Knochenstoffwechsel? Ernährung betrifft ja eigentlich alles und muss insofern auch ganzheitlich betrachtet werden. Ich kann nicht nur isoliert den Muskel oder isoliert das Herz-Kreislauf-System betrachten. Das finde ich extrem spannend, aber es ist auch eine extreme Herausforderung, weil man, um es zu verstehen, sehr tief in die Biochemie einsteigen muss.
Deshalb untersuchen wir diese Themen immer zusammen mit Kooperationspartnern. Also ich starte jetzt gerade ein Experiment, da geht es um Präbiotika, und das machen wir zusammen mit den Amerikanern, den Kooperationspartnern bei der NASA. Dann habe ich noch zwei Kooperationspartner aus Deutschland, jemanden aus Italien, jemanden aus Frankreich. Die einen schauen sich die immunologischen Prozesse an, die anderen gucken sich die Darmflora an und beobachten, wie sich da die Zusammensetzung der Mikrobiota im Darm verändert usw. Die Arbeit im Team ist immer extrem spannend und macht mir total viel Spaß, weil man unheimlich viel über die anderen Körpersysteme lernen kann.

Was wünschen Sie sich bezogen auf Ihr Forschungsgebiet?

Leider liegt der Fokus in der Raumfahrt-Forschung nun mal nicht auf der Ernährung. Wir haben aber, und darauf sind wir ganz stolz, schon viel geleistet. Wir sind strategisch ganz gut vorgegangen, weil wir unsere Forschungs-Ergebnisse in wissenschaftlichen nicht so niedrigrangigen Fachjournalen publiziert haben. So kommt das Thema ein wenig aus seiner Nische heraus, und die Leute können es nicht mehr so einfach wegdiskutieren unter dem Motto: "ja essen tun wir ja alle...". Es nimmt heute deutlich mehr Raum ein als noch vor 30 Jahren, als ich begonnen habe zu forschen.

Wir freuen uns auf ihre kommenden Forschungsergebnisse und sagen ganz herzlichen Dank für das Interview!

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Autorin / Autor: Redaktion - Stand: 4. August 2023