Von Cupcakes, Cocktails und Covern

Ein Kommentar zur Leipziger Buchmesse von Miriam Weber

Bild: Miriam Weber

Wenn der Schnee geschmolzen ist und die ersten Tulpen blühen, kommt auch allerorts Bewegung in die Lesesessel. Denn Ende März lockt die Buchmesse aus dem Winterschlaf nach Leipzig und lädt ein, eine sonst eher stille, einzeln ausgeführte Beschäftigung gemeinsam zu erleben. Rund 283.000 Menschen folgten dieses Jahr dem Ruf des Lesefestes und kamen vom 21. bis 24. März zusammen.

Gleich zum Messeauftakt folgte allerdings die Hiobsbotschaft: Die Leipziger Verkehrsbetriebe würden am Freitag streiken. Eines der wichtigsten Touristenmagneten der Stadt und das mit Leipzig Liest größte Event dieser Art in Europa wären in Gefahr. Ein blutiger Showdown zwischen Veranstalter, Bürgermeister und Gewerkschaftsführer blieb allerdings aus, denn Tarifkonflikten zum Trotz haben sich genügend mitfühlende StraßenbahnfahrerInnen gefunden, die Buchbegeisterte zu ihrem Ziel brachten.

Um Punkt 10 Uhr wurden mit einem Gong die Glastunnel zu den einzelnen Hallen freigegeben und wie beim Schulschluss vor den Sommerferien stürzten plötzlich alle los. Schnelligkeit war das Gebot der Stunde, denn der Wettlauf zu den beliebtesten Ständen begann, und wenn man sich wenigstens kurz in Ruhe umsehen und nicht stundenlang anstehen wollte, um den Stand überhaupt betreten zu können, galt es, den Favoriten im Voraus auszuwählen und als allererstes dorthin zu eilen. Alles weitere war ein Geduldsspiel und man musste stark priorisieren. Eine gründliche Programmsichtung und Planung sind also sehr zu empfehlen, da ein gemütliches Schlendern und spontanes Stöbern bei den größeren Publikumsverlagen kaum möglich war.

Limitierte Spezialausgaben, Charakterkarten und Merchandise

Auf die Spitze getrieben wurde dies besonders bei New Adult und Romantasy Anbietern, die nicht nur mit limitierten Spezialausgaben, Charakterkarten und Merchandise lockten, sondern u.a. durch enge Bloggerbindung und Social Media Präsenz sowieso immer eine FOMO (Fear of Missing out) bei der Zielgruppe wecken. Hier zogen sich die Schlangen für die jeweiligen Shops und Stände bisweilen einmal quer durch die Messehalle. Denn wer kann es sich erlauben, keine Fotos oder Storys vom Besuch an genau diesem Stand zu teilen, wenn man mit dem aktuellen Hype mithalten möchte? Dafür wurden an Verlagsständen zwischen den Büchertischen sogar Selfiespiegel angebracht, damit man sich zwischen all den Bücher schön inszenieren kann.

Deko-Aspekt wichtiger als die Geschichte?

Es scheint nämlich auch ein gewisser Zwang zu existieren, bestimmte Bücher und das entsprechende Zubehör, um diese für Social Media in Szene setzen zu können, zu erwerben. Man traf in den Messehallen sogar Besucher:innen an, die extra Koffer mitbrachten, um ihre hart erkämpfte Beute zu verstauen und sich gleich wieder ins Getümmel stürzen zu können. Denn es gilt nämlich auch, möglichst frühzeitig zuzuschlagen, da viele Bücher damit beworben werden, dass limitierte Farbschnitte nur für die 1. Auflage gedruckt werden. Also darf man eine Kaufentscheidung nicht lange abwägen, oder vielleicht gar warten, dass es das Buch irgendwann Second Hand gibt, sondern man muss sofort zugreifen, am besten bestellt man sogar vor. Wäre ja tragisch, wenn Werk oder Autor groß rauskommen und man dann nur weiße Kanten in die Kamera halten könnte.

Und ich gebe es zu, mir gefallen die Farbschnitte ja auch, manche Bücher werden dadurch zu wahren Schmuckstücken und ich bin stolz, dass sie mein Regal zieren. Aber für mich sollte das immer noch etwas Besonderes sein und nicht inflationär bei jeder Neuerscheinung angeboten werden. Auch dasselbe Buch in unterschiedlichen Ausgaben, mit verschiedenen Farbschnitten, Covern und Innengestaltungen zu besitzen scheint allerdings nicht ungewöhnlich zu sein und verdeutlicht nochmals, wie das Buch immer mehr zum Deko-Objekt oder Accessoire wird. Es geht um den Besitz, stellt ein Statussymbol in bestimmten Kreisen dar und ist oftmals nicht primär zum Lesen gedacht. Die eigentliche Geschichte zählt dann weniger als die Gestaltung, und oft scheinen eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt gegenüber der Optik das Nachsehen zu haben. Auch erkennbar wurde das an den diversen Release Partys und Premierenlesungen, wo das Zusammenpassen von Cupcakes, Cocktails und Cover und das Zugrundeliegen eines einheitlichen Farbschemas mehr Raum einnahmen als die eigentliche Geschichte.

Hohe Preise für veredelte Ausgaben

Traurig ist dabei vor allem, dass es vielleicht für viele nicht erschwinglich ist, mit dem Lesen anzufangen und daraus ein regelmäßiges Hobby zu machen. Denn wenn ein Großteil der Spitzentitel, die für die breite Masse interessant wären, als hochwertig veredelte Ausgaben mit dem entsprechenden Preis angeboten werden, kann das für einige natürlich eine Hemmschwelle darstellen. Die im Rahmen der Buchmesse präsentierte Studie „Bock auf Buch! – Wie junge Menschen heute Bücher finden und kaufen“ hat gezeigt, dass zwar von 2019 bis 2023 die Ausgaben für Kinder und Jugendbücher um 7,4 % angestiegen sind, die Zahl der verkauften Bücher aber um 12,6 % gesunken ist. Auch die Zahl der Kaufenden ging zurück. Haben junge Menschen also einfach keine Lust mehr aufs Lesen? Oder ist der zunehmend wettbewerbsorientierte Sport, mehr Bücher zu lesen, hübschere Bücher zu besitzen, abschreckend? Und handelt es sich noch um gesunden Eskapismus bei denen, die tatsächlich Lesen als Hobby haben, oder ist das teils obsessive Verhalten schon Ausdruck einer zugrundeliegenden Pathologie?

Earth Hour und Rausch der Raffgier

Am Messesamstag fand passenderweise die Earth Hour statt. Auf der ganzen Welt sollte für eine Stunde das Licht ausgeschaltet werden, um ein Zeichen für Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu setzen. Dabei über eine auf Konsum ausgelegte Messe zu laufen und sich im Rausch der Raffgier möglichst viele Flyer oder sonstige Goodies zu schnappen, von denen dann - um ehrlich zu sein - der Großteil letztlich doch im Müll landet, ist da bestenfalls ironisch.

Aber ein paar Dinge geben dennoch Hoffnung. Erstens: Hundertausende Menschen kamen an einem Ort zusammen und es blieb friedlich. Zweitens: Die Organisation in den Messehallen war erstklassig, und man muss den Mitarbeiter:innen ein Lob dafür aussprechen, wie geordnet die Warteschlangen gehalten wurden. Und Drittens: Bei der obengenannten Studie wurde gezeigt, dass viele junge Menschen häufig Bücher in der Originalsprache lesen und dies hauptsächlich, um ihre Fremdsprachenkompetenz zu verbessern. Dass die junge Generation also Wert auf Sprachkenntnisse und damit auf den Austausch mit anderen Kulturen, auf friedliche Kommunikation, legt, ist doch ein gutes Zeichen für die Zukunft.

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Autorin / Autor: Miriam Weber - Stand: 25. März 2024