Schüler*innen: Vom Wissen zur Ratlosigkeit

PISA-Studie: Jugendliche in Deutschland gut informiert, aber weniger engagiert

Wie stark setzen sich Jugendliche mit globalen Themen wie Armut, Klimawandel oder Migration auseinander? Verstehen und wertschätzen sie andere kulturelle Sichtweisen? Setzen sie sich für das kollektive Wohlbefinden und eine nachhaltige Entwicklung ein?

Um das herauszufinden, wurde die jüngste PISA-Studie erstmals mit einem Fragebogen zum Thema „Global Competence“ ergänzt. In Deutschland beantworteten rund 3.800 15-jährige Schüler_innen im Frühjahr 2018 die Fragen. Lehrer_innen bekamen einen weiteren Fragebogen. Insgesamt nahmen 66 Staaten, darunter 27 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) teil.

Das Ergebnis: Jugendliche in Deutschland fühlen sich gut über globale Fragen wie Armut und Klimawandel informiert. Sie trauen sich auch zu, etwas zu diesen Themen zu sagen und sie bekunden Respekt gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Andererseits zeigen sie ein deutlich geringeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, als die Jugendlichen im OECD-Durchschnitt. Außerdem denken sie nicht, dass sie viel an globalen Problemen ändern können und und ihre Bereitschaft, sich für globale Ziele zu engagieren ist schwächer ausgeprägt. Beispielsweise wurden sie gefragt, ob sie annehmen, dass sich ihr Verhalten auf Menschen in anderen Ländern auswirken kann, und ob sie sich an Aktivitäten für den Umweltschutz beteiligen. Dies zeigt die Zusatzbefragung „Global Competence“ der jüngsten PISA-Studie.

*„Wissen wenig in Handlung umgesetzt“*
„Es ist wichtig, dass Schülerinnen und Schüler sich in einer zunehmend vernetzten und durch kulturelle Diversität gekennzeichneten Welt zurechtfinden“, sagt Prof. Kristina Reiss vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM), die den deutschen Teil der PISA-Studie leitet. „Das gelingt den Jugendlichen in Deutschland gut. Wir stellen aber auch fest, dass sie ihr Wissen und ihre Einstellungen noch wenig in Handlungen umsetzen.“

Dieses Ergebnis trifft auch auf andere Staaten zu, die aufgrund ihrer Demografie, kultureller Prägung und politischen Rahmenbedingungen Deutschland besonders ähnlich sind, zum Beispiel Österreich, Frankreich und Großbritannien. „Eine mögliche Interpretation ist, dass ein hohes Verständnis für die Komplexität der globalen Probleme eher zu der Einschätzung führt, dass man als Individuum wenig zur Lösung beitragen kann“, sagt Reiss.

*Mädchen und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte interessierter an anderen Kulturen*
Ein größeres Interesse, etwas über andere Kulturen zu lernen, haben Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund im Vergleich zu denjenigen ohne Zuwanderungshintergrund. Erstere finden auch das Klima an den Schulen in Deutschland diskriminierender als letztere. Anders ist das in Großbritannien, wo es diesen Unterschied nicht gibt, obwohl der Anteil der Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund vergleichbar ist. Schüler_innen aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status haben in Deutschland eine positivere Einstellung zu gleichen Rechten für Zuwander_innen. Dieser Zusammenhang ist hierzulande größer als im OECD-Durchschnitt. Ebenfalls deutlicher ausgeprägt ist in Deutschland das größere Interesse der Mädchen an anderen Kulturen. Jungen trauen sich demgegenüber stärker zu, Aufgaben zu globalen Themen zu lösen, obwohl beide Geschlechter ihr Wissen genauso groß einschätzen.

*Nur wenige Lehrkräfte interkulturell ausgebildet*
Ein Grund für den mangelnden Kontakt zwischen Jugendlichen mit und ohne Zuwanderungshintergrund könnte darin liegen: Nur zehn Prozent der Lehrer_innen in Deutschland geben an, in interkultureller Kommunikation ausgebildet worden zu sein. Nur zwei Prozent mehr haben Methoden für den Unterricht gelernt, mit denen sie kulturelle Unterschiede berücksichtigen können. Dieses Ergebnis ist an Gymnasien und nicht-gymnasialen Schulen ähnlich. Allerdings zeigen die Gymnasiallehrkräfte eine positivere Einstellung gegenüber Zuwander_innen.

„Die Lehramtsausbildung sollte interkulturelle Kompetenzen deutlich stärker berücksichtigen“, sagt Kristina Reiss. „Und sie sollte internationaler werden. In den meisten anderen Studienfächern ist ein Auslandsaufenthalt längst selbstverständlich. Es gibt keinen Grund, warum nicht auch künftige Lehrerinnen und Lehrer von Erfahrungen im Ausland profitieren sollten.“

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