Erscheinung

Einsendung zum Schreibwettbewerb "Eine angelehnte Tür" von Beltz & Gelberg und LizzyNet

Mein Kopf brummte schmerzhaft.
Müde und erschöpft öffnete ich meine Augen.
Trüb und milchig erschien mir der Raum im Neonlicht.
Ich hob meine Hand. Es war, als ob ich nicht Herr meines Körpers wäre, so als ob er einem Fremden gehörte.

Ich fasste mir an den Hinterkopf. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Leib. Ich war wach.
Meine Hand war blutverschmiert, als ich sie in Zeitlupe wieder nach vorne führte.

Erst jetzt bemerkte ich, dass um meine Handgelenke stählerne Bänder gebunden waren. Daran waren lange Eisenketten befestigt, die in der Wand hinter mir versenkt waren.
Vorsichtig versuchte ich aufzustehen, hörte das Klimpern der Ketten auch an meinen Füßen.
Gegenüber befand sich eine Eisentür. Sie war nicht offen. Aus dem Spalt drang helles Licht von draußen in den Raum. Dort gab es nur kalte Betonwände. Keine Fenster. Nur diese Tür.

Ich ging auf sie zu doch nach nicht einmal zwei Metern hielten mich die Ketten davon ab, weiter zu gehen, verzweifelt versuchte ich mich loszureißen.

"Vergiss es",drang eine Frauenstimme zu mir herüber, sie kam aus einer dunklen Ecke. Wegen des Schattens, der über ihrem Körper lag, konnte ich nur vage ihre Konturen erkennen.
"Wer bist du?",fragte ich verzweifelt. Ich wollte hier raus. Wollte meine Freiheit zurück, aber vor allem wollte ich wissen, was ich hier tat.
"Wen interessiert das schon? Ich werde sowieso bald sterben", erklang traurig und kraftlos ihre Stimme.
"Was mache ich hier?"
"Dasselbe wie ich-sterben."
"Sterben? Ich will nicht sterben, verdammt nochmal! Warum? Was hab ich getan?"
"Jeder wird irgendwann dafür bestraft, was er getan hat", die Frau hustete, röchelte und spuckte letztendlich etwas auf den Boden-Blut!

Ich sackte an der Wand zusammen.
"Wie bin ich überhaupt her gekommen?", flüsterte ich.
"SIE haben dich hier her gebracht."
"SIE?", meine Stimme versagte allmählich.
"Ja... SIE."
"Wer sind SIE?"
"Die da oben."
Ich schaute hoch.
Grauenvoll.
Engel, schöne Engel, mit schmerzverzerrten Gesichtern. Sie standen in Flammen. Dunkle Flüssigkeit lief ihnen über die Wangen. Die ganze Decke war ein einziges Bild vom Schmerz.
Die Engel waren ausgemalt, mit einer dunkelen, roten Farbe. Der Geruch von Eisen und Rost stieg mir in die Nase. Mir stellten sich die Nackenhaare auf.
Blut.
Mein Kopf tat weh. Der Schmerz durchzuckte meinen Körper erneut.
"Du spinnst doch!", rief ich verzweifelt.
"Ach ja? Tu ich das?" Die Frau stand auf. Jetzt sah ich sie im schwachen grünlichen Licht der Lampe. Sie war schön, braune, kurze Haare, nicht groß, nicht klein. Ein verschmutztes Kleid schmiegte sich an ihren jungen Körper. Jedoch waren ihre Wangen eingefallen, sie sah krank und alt aus. Leer war ihr Blick. Ketten an ihren dürren Händen und Füßen. Wie lange war sie hier? Sie war schwach. Zerbrechlich. Und sie kam mir so bekannt vor. Ich stand auf, ging auf sie zu, um sie besser sehen zu können. Jedoch kam ich nicht weit.
"Wer bist du?", fragte ich sie.
Sie setzte sich wieder und lehnte sich an die Wand.
"Wen interessiert das schon? Im Angesicht des Todes sind wir alle gleich. Egal ob Mann oder Frau, ob dünn oder dick. Er raubt uns sowieso unsere Seelen", sprach sie traurig aus ihrer dunkeln Ecke.
Ob sie Recht hatte?
Ich sackte zusammen, dachte nach.
Die Wunde an meinem Kopf schmerzte, pochte.
Plötzlich hörte, wie sich die Eisentür öffnete. Ich spähte nach oben.
Gleißendes Licht strahlte mir so grell entgegen, so dass ich versuchte mit der Hand meine zusammengekniffenen Augen abzuschirmen.
Im Türrahmen stand eine Engelsgestallt. Riesige, weiße Flügel, ein weißes fließendes Gewand.
Der Engel ging auf die Frau zu, lächelte und reichte ihr die Hand. Sie schaute zum Engel hoch, zögerte und nahm dann die Hand. Ihre Ketten zerfielen zu Staub und sie stand auf. Zusammen gingen sie ins Licht.
,,Halt! Nehmt mich mit!", schrie ich zu spät.
Das weiße Licht, das aus der Tür strahlte blendete mich.
Ich blinzelte. Nun sah ich schwach Konturen von etwas. Ich blinzelte weiter, bis sich der milchige Schleier von meiner Netzhaut verzog und ich eine Lampe über mir sah. Ich hörte das Piepen von technischen Geräten. Langsam drehte ich den Kopf. Ich lag in einem Bett. Ein Schlauch führte aus meiner Nase. Ich war durch Schläuche und Kabel an medizinische Geräte angeschlossen.
Ich lag in einem Krankenhaus. Gott sei Dank! Ich lebte!
Doch da war noch etwas. Ein schrilles, nicht endenwollendes hohes Piepen. Ein Schluchzen. Ich drehte den schmerzenden Kopf zur anderen Seite. Zu mehr war mein Körper nicht fähig.
Neben dem Bett, das neben meinem, stand ein altes Ehepaar und ein Arzt, der etwas beteuerte. Die Dame drückte sich weinend in die Umarmung des fassungslosen Mannes, der auf die Geräte schaute.
Bilder blitzten auf.
Ein Hupen, das Splittern von Glas.
Ich am Lenker des einen, sie an dem, des anderen Autos.
Doch das, das mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ, war die Gestalt, die auf dem Bett lag.
Es war die Frau aus meinem Traum. Mit geschlossenen Lidern lag sie da. Entspannt und ruhig und still.
Erlöst.

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Autorin / Autor: Julia, 15 Jahre - Stand: 14. Juni 2010