Papa und das Weltall

Wettbewerbsbeitrag von Jan Hörberg, 24 Jahre

„Das Team um Kommandant George Cornell möchte Geschichte schreiben. Nach über 52 Jahren startet heute die Mission, die wieder auf die Mondoberfläche fliegt.“ Das war von Millionen von Leuten live zu hören. Nach zwei geplatzten Startversuchen war an diesem Tag das perfekte Wetter in Cape Canaveral. Mitarbeiter, Journalisten und Angehörige der Astronauten waren vor Ort. Darunter auch die Familie von George Cornell. Lissy Cornell, seine Frau, die 12-jährige Tochter Annie und der 7-jährige Sohn Luke. Die Astronauten kamen – fahrend in schwarzen SUVs – in einer Kolonne zum Weltraumflughafen. Bevor sie in die Rakete stiegen, sahen sie noch ein letztes Mal ihre Liebsten. Lissy, Annie und Luke gingen an das Fenster von George. Die Frauen weinten, ob vor Freude oder Angst, das konnte man nicht erahnen. Nur der kleine Bub war voller Begeisterung. Er legte seine kleine Hand auf das Fenster und sagte: „Papa, bring mir was vom Mond mit!“ Der Kommandant lachte, verdrückte eine Träne und küsste die Scheibe von innen.

Aus dem Funk hieß es „10, 9, 8“ Alle Zuschauer wurden ruhig, so ruhig, dass jeder fast den eigenen Herzschlag hören konnte. „5, 4, 3, 2, 1, Start!“ Die Rakete hob ab gen Himmel. Nach einem Flug von genau 52 Sekunden war ein bombastischer Knall zu hören, gefolgt von entsetzlichen Schreien tausender Menschen. Familie Cornell stand aneinander gedrückt mit offenen Mündern da und sahen keine Rakete sondern eine Welt für sie zusammenbrechen.

Lange Zeit verging, in der die Angehörigen der Toten trauerten. Auch Familie Cornell musste mit dem Verlust von George umgehen. Lissy, die Mutter, schien kurz nach dem Unfall am gefasstesten und tröstete die Kinder. Doch so stark sie auch die erste Zeit war, konnte sie nicht immer sein. Nachts, wenn die Kinder im Bett waren, konnte man ein leises Schluchzen durch den Gang hören. Annie wurde impulsiv und verletzte sich. Besonders dann, wenn sie Dinge sah, die sie an ihren Vater oder an seinen Arbeitsplatz erinnerte. Alle Raketen triggerten einen Wutanfall. Somit beschloss Lissy, sie zu einem Psychologen zu schicken. Mit Therapie ging es ihr immer besser doch nie wirklich gut. Bei Luke war es ganz anders. Ihn verfolgte der Verlust wie ein Fluch. Teilweise ging es ihm gut, aber aus dem Nichts kamen wieder niederschlagende Momente, in denen er begann zu weinen. Was ihn aber ermutigte war die Faszination mit der Raumfahrt. Er sammelte alles, was mit Raketen, dem Weltall und der Physik zu tun hatte. Er war fest entschlossen Raumfahrer zu werden.

Als Luke seinen Bachelor in Physik abschloss, studierte er im Master Luft- und Raumfahrttechnik. Nach einer 5-jährigen Festanstellung bei einem NASA-Zulieferer beschloss er, sich bei eben dieser Raumfahrtbehörde für ein Training am Johnson Space Center zu bewerben. Durch seine sehr guten Noten und wahrscheinlich auch seinen Namen wurde er genommen. Somit begann seine Ausbildung zum Bordingenieur und Astronaut. Die ersten Schritte seines Traums wurden gemacht, doch es gab nicht nur Beifall. Als Annie die Nachricht hörte, versuchte sie ihn zu überzeugen aufzuhören und weiter in einem normalen Job zu arbeiten. „Ich will nicht noch jemanden verlieren!“, sagte sie in dutzenden Gesprächen. Luke verstand sie und haderte mit sich, aber am nächsten Morgen waren die Sorgen meist vergessen und er bestritt seinen Alltag. Das praktische Training und die Theoriestunden waren sehr anstrengend für ihn. Doch durch eine Person wurden die harten Tage immer angenehm. Es war Olivia, seine damalige beste Freundin, die später seine Geliebte und schlussendlich – kurz nach dem Abschluss der beiden – seine Frau wurde. Zusammen wollten sie den Weltraum erobern. Doch Olivia wurde schwanger. Beide konnten es kaum fassen und sie freuten sich auf den kleinen Jungen, namens Paul. Es war eine glückliche, kleine Familie.

Sechs Jahre später wurde Luke zu seinem ersten Flug berufen. Es war eine aufregende Zeit. Olivia und der kleine Paul freuten sich für ihn. Seine Mutter war nicht so begeistert, doch sie unterstützte ihn dennoch. Nur Annie wollte es nicht glauben. Bei einem Gespräch im Haus der Mutter wurde Annie laut und schrie: „Wie kann man nur so egoistisch sein? Du hast Frau und Kind, du hast Mama und mich. Was ist, wenn du drauf gehst?“ Sie konnte sich nicht halten und fuhr mit ihrem Auto zu ihrer Wohnung. Olivia stand auf, um mit ihr zu reden. Sie fuhr ihr hinterher und geriet in einen Unfall. Sie erlitt schwere Verletzungen, so dass sie von nun an auf einen Rollstuhl angewiesen war.

Diese Nacht brachte Luke noch einmal zum Grübeln. Sollte er den Flug wagen? Wer sorgt sich um Olivia und Paul, wenn er tot ist? Wochenlang konnte er nicht schlafen. Er ging zur Arbeit und spazierte stundenlang nach Feierabend. Er wollte ewig in seinen Gedanken sein, ohne die Entscheidung treffen zu müssen. Er hatte Angst vor der Frage „Wirst du fliegen?“. Jedes Mal, wenn ihn jemand ansprach, zuckte er kurz. Beim Smalltalk mit Bekannten, beim Abendessen mit der Familie und besonders auf der Arbeit schauten ihn die Leute so fragend an. Ihre Blicke sagten: „Und….Luke. Wirst du fliegen?“ Aber keiner stellte ihm die Frage. Es war alles nur in seinem Kopf. Oder war es das nicht? Nur wenn er mit Paul war, vergaß er die Schwere der Welt. Während Luke mit Paul Lego spielte, fragte Paul plötzlich: „Du… Papa. Wann fliegst du ins Weltall?“ Luke war erstaunt, dass ihm die Frage nichts ausmachte und antwortete: „Willst du, dass ich ins Weltall fliege, Paul?“ „Jaaa, das wär so cool.“, dabei drehte er sich zu Paul und lächelte genau in seine Augen. Es war der Moment als Luke wusste, um Frieden zu finden muss er fliegen.

Luke saß mit seinen Kollegen in einem SUV, der ihn zu der Rakete bringen sollte. Heute war der Tag und er verspürte den größten Druck seines Lebens. Die Parade hielt an. Es war Zeit für die letzte Verabschiedung von der Familie. Paul flitze an das Auto und Lissy hob ihn zur Scheibe. Hinter ihnen kam Olivia in ihrem Rollstuhl gefahren. Er hob seine Mundwinkel, aber konnte eine Träne nicht verkneifen. Daraufhin weinten sie alle. Annie war nicht da, sie war zuhause und hoffte im Dunkeln.

Luke saß nun in Startposition. Neben ihm waren seine Mitastronauten. Der Countdown begann. „10, 9, 8“ Sein Herz klopfte höher. „7, 6 ,5, 4,“ Er schloss die Augen und drückte seine Hände an den Brustkorb. „3, 2, 1, Start!“ Mit dem Höllengeschrei des Antriebs hob die Rakete ab. Luke drückte es in den Sitz. Nach einigen Momenten brach der Funk ab. Der Captain versuchte die Zentrale zu erreichen – erfolglos. Panik stieg auf. Luke dachte daran, dass es ein Fehler war zu fliegen. Doch dann kam die Erlösung aus der Zentrale. „Alles schaut gut aus. Ihr seid nun aus der kritischen Phase.“ Im Hintergrund war Gejubel der Bodencrew zu hören. Auch im Cockpit wurde sich lächelnd zugenickt. Als sie eine Weile flogen, blickte Luke aus dem Spaceshuttle und konnte es nicht glauben. Er hat das All schon so oft auf Bildern gesehen, doch er sah, wie unendlich schön es war.

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Am 27. November 2022 fand die Lesung zum Schreibwettbewerb VERWANDELBAR statt, bei der fünf der Gewinner:innen ihre wunderbaren Texte präsentierten. Moderiert wurde die Lesung durch den Autor Manfred Theisen, der auch Mitglied der Jury war.