Ich kann Ungerechtigkeiten nicht ausstehen

Interview mit Serap Güler, der Staatsekretärin des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Bild: Laurence Chaperon

Gibt es Momente, die Ihnen aus Ihrer bisherigen Amtszeit besonders in Erinnerung geblieben sind?

In den vier Jahren als Staatssekretärin habe ich unglaublich viele interessante Menschen kennenlernen dürfen. Menschen mit teils bewegenden Geschichten, die sich mit Herzblut und viel Kreativität dafür einsetzen, dass wir als Gesellschaft Vielfalt nicht nur leben, sondern auch aktiv gestalten. Eine Auswahl fällt mir daher wirklich nicht leicht. Besonders viele schöne Momente sind mir aber im Rahmen unserer Integrations- und Wertschätzungskampagne #IchDuWirNRW in Erinnerung geblieben. Beispielsweise eine Veranstaltung in Duisburg-Marxloh, wo wir gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen vor Ort über Themen wie Heimat und Identität diskutiert haben. Der Abend endete mit einem Live-Auftritt von Eko Fresh, der seinen eigens für die Kampagne geschriebenen Song erstmals performte und wirklich niemand mehr still auf den Stühlen sitzen bleiben konnte. Eine Veranstaltung mit Gänsehaut-Faktor. Oder aber meine mehrtägige Fahrt mit Jugendlichen nach Düsseldorf und Berlin, wo wir u.a. mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble und unserem Ministerpräsidenten Armin Laschet über persönliche Eindrücke, Chancen und Herausforderungen unserer Einwanderungsgesellschaft sprechen konnten. All diese Veranstaltungen haben mir immer wieder aufs Neue gezeigt, wie wichtig es ist mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen und auch ehrliches Feedback und Anregungen zu erhalten. Ohne solche Momente kann Politik nicht funktionieren.

Was verstehen Sie unter „Integration“?

Integration bedeutet für mich in erster Linie gesellschaftliche Teilhabe – egal ob im Beruf, der Schule, im Sportverein, zu Hause oder in der Nachbarschaft. Vereinfacht könnte man auch sagen, ein sozial gleichberechtigtes und anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein, unabhängig von Religion, Status oder Herkunft. Ich selbst wurde zwar in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aber beide aus der Türkei und so sprachen wir zu Hause auch nur türkisch. Deutsch habe ich dann im Kindergarten gelernt, habe später mein Abitur, meine Ausbildung und auch mein Studium abgeschlossen. Das Gefühl richtig angekommen zu sein hatte ich aber erst, als ich mich mit 30 Jahren dazu entschied, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Denn erst mit dem deutschen Pass konnte ich auch wählen gehen und richtig mitbestimmen. Was ich damit sagen möchte: Integration anhand von Indikatoren wie etwa dem Niveau an Sprachkenntnissen zu messen ist richtig und wichtig, alleine um zu überprüfen, ob unsere integrationspolitischen Maßnahmen wirken oder nicht. Ob jemand anhand der Indikatoren als integriert gilt oder sich auch tatsächlich integriert fühlt – das sind tatsächlich aber noch einmal zwei unterschiedliche Dinge. Deshalb möchte ich mit unserer Integrationspolitik Menschen nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen erreichen.

Was erhoffen Sie sich von dem Schreib- und Kreativwettbewerb #IchDuWirVonHier?

Ehrlichkeit, Authentizität und wie der Name es schon sagt: Kreativität. Mit dem Wettbewerb möchten wir erfahren, was die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bewegt. Was heißt es mitunter mit mehreren kulturellen Hintergründen aufzuwachsen, vielleicht auch „zwischen den Stühlen“ zu stehen? Wie sieht Vielfalt im Alltag junger Menschen aus? Was bedeutet für sie Zusammenhalt und fühlen sie sich zugehörig? Wofür stehen wir eigentlich als Gesellschaft und wo stehen wir? Was läuft gut in unserem Land? Und was müssen wir dringend anpacken? Bei dem Kreativ- und Schreibwettbewerb gibt es kein richtig und kein falsch: Was wir wollen, sind unbequeme Fragen, Meinungen, Geschichten, Erfahrungen, Perspektiven, Kritik und Überzeugungen. Der Phantasie sind abgesehen von den Teilnahmebedingungen keine Grenzen gesetzt!

Welche Werte sind Ihnen persönlich besonders wichtig?

Ich kann Ungerechtigkeiten auf den Tod nicht ausstehen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass Menschen aufgrund ihres ausländisch klingenden Namens bei der Wohnungs- oder Jobsuche benachteiligt werden. Deshalb ist es mir besonders wichtig offen und vorurteilsfrei auf Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich bin der Meinung, dass wir im Umgang miteinander mehr Verständnis füreinander haben sollten und von unserem Gegenüber nicht immer gleich das Schlechteste denken oder erwarten sollten. Das nehme ich mir persönlich Tag für Tag aufs Neue vor, auch wenn es im Alltag natürlich Situationen gibt, wo man auch mal impulsiv sein darf.

Vielen Dank für das Interview!

Hier geht es zum Kreativwettbewerb

Autorin / Autor: Redaktion; Bild: Laurence Chaperon - Stand: 14. Mai 2021