Trügerischer Sog

Autorin: Alexandra Kui

„Trügerischer Sog“ von Alexandra Kui beschreibt die Geschichte einer zerrissenen Klassengemeinschaft. An ihrer Spitze steht Sara, welche entscheidet, wer in der Klasse was zu sagen hat, oder wer zu den Namenlosen gehört. Die neue Lehrerin, Frau Hoppe, die in dieser Klasse ihre erste gefunden hat, ist bald ratlos und möchte die Klassendynamik verbessern. Als Ort des „Experiments“ bzw. Ziel der Klassenreise, wählt sie die Nordseeinsel Maroog aus, da sie selbst dort aufgewachsen ist und die kleine Insel gut kennt. Auf der Insel gibt es einen echten Friedhof der Namenlosen und um das Miteinander zu fördern, soll dieser erneuert werden. Bald schon ändert sich auf der Insel das Machtgefüge und nicht wenige haben Geheimnisse und verbergen etwas. Bis die Situation eskaliert.

Da ich in letzter Zeit gerne Geschichten lese, die eher nördlich angesiedelt sind und ich zu Thrillern generell schwer „Nein“ sagen kann, ist mir dieses Buch ins Auge gefallen. Das Cover und der Titel hatten mit ihrer ruhigen, aber bedrohlichen Wirkung wortwörtlich einen Sog auf mich ausgeübt. Ich finde das Design wirklich gelungen und gerade das Detail mit dem knallroten Boot passt sehr gut zum Inhalt.

Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Sicht von Kim, der Saras Meinung nach zu den Namenlosen gehört und eben jener Zweitgenannten, Herrscherin über die Klasse. Sieht man nur die Sicht der Einzelnen, wirkt die andere allerdings je unsympathisch auf einen. Da man aber beide Sichtweisen kennenlernt, merkt man, dass die Protagonistinnen nur versuchen, mit ihrem Leben fertig zu werden und das Beste daraus zu machen bzw. mit ihrer Situation so umzugehen versuchen, wie es ihnen möglich ist. Dass die gewählten Wege nicht immer die richtigen sind, ist ihnen durchaus bewusst, aber manchmal passieren auch Fehler und Missverständnisse. Aus Scham oder anderen Gründen werden diese jedoch nicht aus der Welt geräumt und so verstricken sich die Protagonistinnen noch tiefer in toxischen Beziehungen.

Ich fand die Verhaltensweisen durchaus nachvollziehbar, auch wenn ich mich selbst vielleicht anders verhalten hätte. Die Charaktere sind mitunter sehr wankelmütig und entscheiden sich ständig um. Gerade Sara mag mit ihrer manipulativen, berechnenden Art kalt auf einen wirken, aber auch sie hat ihre Gründe und wenn man sie erst einmal kennenlernt, kann man ihr Verhalten zumindest verstehen, auch wenn man sie vielleicht nicht mag. Die Charaktere wachsen an ihren Taten, auch wenn viele davon nicht unbedingt 'richtig' sind. Die Geschichte gipfelt in einem Ereignis, das ich nicht ganz greifen konnte. Es ging mir alles etwas zu schnell.

Die Thrillerelemente haben sich für mich leider erst auf den letzten Seiten abgespielt, was zur Dynamik der Geschichte zwar gepasst hat, generell waren die Formulierungen für mich aber etwas zu schwammig und abstrakt. Ich hätte mir bessere und längere Erklärungen gewünscht. Generell war das Ende etwas zu schnell und abrupt. Wem bewusst ist, dass man sich hier mehr auf die Klassendynamik und das Miteinander konzentriert, und der Thrilleranteil relativ gering ist, kann bedenkenlos zugreifen. Wer allerdings einen Thriller mit Ermittlungen, Tathergang und derlei erwartet, sollte vielleicht zu einem anderen Buch greifen.


*Erschienen bei cbj*

Deine Meinung zu diesem Buch?

Autorin / Autor: Lisa - Stand: 19. April 2021