Wieviel Konsum braucht ein "Gutes Leben"?

Alle reden von Nachhaltigkeit, nachhaltigem Lebensstil, nachhaltigem Konsum. Aber was ist das eigentlich genau? Kann Konsum überhaupt nachhaltig sein? Und wenn ja, wie? Professorin Doris Fuchs von der Uni Münster über den Balanceakt zwischen umweltbewusstem Verhalten und dem Bedürfnis nach neuen Dingen

Professorin Doris Fuchs

Professorin Doris Fuchs ist Inhaberin des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und nachhaltige Entwicklung an der Westfälischen-Wilhelms Universität Münster. Sie forscht insbesondere zu den Themen Nachhaltiger Konsum, Macht, Gerechtigkeit, Das Gute Leben, politische Legitimität, Transformation, Finanzialisierung, sowie die Agrar- und Nahrungsmittel-, Energie-, Klima- und Umweltpolitik. Für das Projekt "Besser machen" steht sie als Expertin zur Verfügung und gibt im Interview ein paar wichtige Impulse zum Einstieg in das Thema.

Das Thema Nachhaltigkeit erlebt seit einiger Zeit große Popularität. Was aber bedeutet es, wenn wir versuchen, unseren Konsum nachhaltig zu gestalten? Dürfen wir dann nur noch alle 5 Jahre shoppen gehen?

Wenn wir nachhaltig konsumieren möchten, sollten wir tatsächlich weniger shoppen gehen und vor allem unser Kaufverhalten stärker hinterfragen. Einige Produkte, die wir einkaufen, sind unbedingt notwendig - Nahrungsmittel zum Beispiel. Wir müssen eine gewisse Menge an Nahrungsmitteln kaufen, aber trotzdem können wir uns zwischen verschiedenen Produkten entscheiden. Hier ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, wo unser Essen herkommt und wie es hergestellt wurde - hat es einen langen Flug hinter sich? Werden bei der Herstellung bspw. Bauern und Bäuerinnen ausgebeutet? Wie wurden Tiere gehalten, deren Fleisch ich kaufe? Das alles sind Dinge, die wir herausfinden können, um dann nachhaltigere Konsumentscheidungen zu treffen. Und obwohl wir essen müssen, können wir auf manche Dinge vielleicht (zumindest zeitweise) verzichten und zum Beispiel kein Gemüse kaufen, dass momentan keine Saison hat und weit hergeflogen werden muss.

Darüber hinaus sind viele Produkte nur in bestimmten Maßen ein „Muss“. Ich brauche zwar Kleidung - aber wieviel „brauche“ ich „wirklich“? Nur noch alle fünf Jahre shoppen zu gehen ist wohl eher unrealistisch, aber wer jedes Wochenende als Hobby in die Stadt shoppen geht, hat sicher mehr Kleidung als er oder sie unbedingt „braucht“. Wenn Kleidung beschädigt ist, kann sie vielleicht genäht oder zum Upcycling genutzt werden, und dieses Verhalten kann man auf viele andere Produkte übertragen. Auch Elektrogeräte können vielleicht nochmal repariert werden, und auch bei ihnen ist es wichtig, sich zu fragen, ob man die neueste Version des IPods oder des Smartphones unbedingt kaufen muss.

Hier sieht man: Bei vielen Kaufentscheidungen ist es wichtig, einen Mittelweg zu finden zwischen dem, was man unbedingt für ein gutes Leben benötigt und einem übersteigerten Konsum, der anderen Menschen und der Umwelt schadet. Dieser Weg sieht für jeden Menschen ein wenig anders aus und um ihn zu finden, muss man sich mit dem eigenen Kaufverhalten und dem Hintergrund der Produkte, die man kauft, auseinandersetzen. Auch die Frage, welche Produkte ich unbedingt konsumieren muss, um gut zu leben, ist entscheidend. Das klingt vielleicht aufwändig, ist aber auch sehr spannend und indem wir so zu einem nachhaltigeren Konsum gelangen können, wird uns vielleicht gleichzeitig auch, was außer Shopping alles für das eigene Leben wichtig ist!

In welche Richtung geht die aktuelle Forschung bezüglich nachhaltigem Konsum? Welche Themen werden dort diskutiert?

Wie sieht ein Kaufverhalten aus, dass „den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen"? Und wie können wir erreichen, dass dieses nachhaltige Kaufverhalten in die Tat umgesetzt wird? Das sind die „großen“ Fragen, die im Zentrum der Forschung zu nachhaltigem Konsum stehen. Weil Konsum unser ganzes Leben prägt und viele unterschiedliche Facetten hat, folgen aus diesen großen Fragen viele kleinere. Dementsprechend umfasst die Forschung zu nachhaltigem Konsum auch zahlreiche unterschiedliche Themen: Es gibt Studien und Theorien zu den Kaufentscheidungen einzelner Personen, also zu individuellen Konsummustern und ihren Hintergründen. Es wird darüber gestritten, wieviel und welcher Konsum mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist. Muss man den Verbraucher_innen bei ihrem Konsum bestimmte Grenzen setzen? Oder ist das der falsche Weg, um nachhaltigen Konsum zu erreichen?

Auch die Auswirkungen individueller Kaufentscheidungen, bspw. auf die Umwelt oder die Produzent_innen der gekauften Waren sind Gegenstand aktueller Forschung. Um diese Auswirkungen beurteilen zu können, müssen sogenannte Produktionsketten in den Blick genommen werden - auch sie sind ein wichtiges Thema der Forschung zu nachhaltigem Konsum. Der Ausdruck Produktionskette beschreibt den gesamten Herstellungsprozess eines Produktes, das von dem/der Endverbraucher_in erworben wird. Aufgrund der Globalisierung sind diese Produktionsketten oft lang und schwer nachvollziehbar, der Weg von der Gewinnung von Ressourcen über ihre Verarbeitung zu Produkten und zu deren Verkaufsstätten führt oft durch viele verschiedene Länder und Fertigungsorte. Um zu beurteilen, ob Konsum nachhaltig ist, müssen viele Fragen beantwortet werden: Unter welchen Bedingungen werden Ressourcen gewonnen? Schadet die Art ihrer Nutzung der Umwelt? Wie sind die Arbeitsbedingungen der Menschen, die die Produkte anfertigen und verkaufen?

Neben den einzelnen Menschen, die Waren herstellen oder konsumieren, ist auch die Rolle von politischen Akteuren ein wichtiges Thema der Forschung zu nachhaltigem Konsum. Die Vereinten Nationen haben sich das Ziel gesetzt, nachhaltigen Konsum durch bestimmte Strategien zu fördern und auch auf europäischer Ebene wird dieses Ziel verfolgt. Wissenschaftler_innen in diesem Feld untersuchen, ob Staaten, Staatenverbünde und einzelne Parteien oder Politiker_innen es schaffen, sinnvolle Veränderungen in Richtung nachhaltigen Konsums zu bewirken, welche Konflikte dabei auftreten und wer sich durchsetzen kann. Ganz ähnliche Fragen stellen sich mit Blick auf zivilgesellschaftliche Gruppen und auch internationale nicht-staatliche Akteure und damit stellen auch diese Akteure Untersuchungsgegenstände dar. Nicht zuletzt darf die Rolle wirtschaftlicher Akteure nicht vernachlässigt werden, denn sie sind sehr einflussreich. Konsumforscher_innen, die zu wirtschaftlichen Akteuren arbeiten, versuchen z.B. herauszufinden, ob Unternehmen, die sich für nachhaltigen Konsum stark machen, wirklich zu dessen Umsetzung beitragen oder auf diesem Wege eigentlich mehr Produkte verkaufen wollen.
Alle hier genannten Akteure werden nicht nur jeweils einzeln untersucht, denn auch die Zusammenhänge zwischen ihnen und ihre Kooperationen oder Konflikte sind ein wichtiges Thema der Forschung zu nachhaltigem Konsum.

Upcycling ist ja gerade ein Trend - auch unter Jugendlichen, der sich besonders in der Do-it-yourself-Bewegung niederschlägt. Was macht Ihrer Meinung nach den Reiz aus, alten Dingen ein zweites, drittes, viertes Leben zu geben?

Upcycling hat meiner Ansicht nach sehr viele potenziell reizvolle Aspekte: Es stellt eine kreative Beschäftigung dar, bei der man einen ganz neuen Blickwinkel auf bekannte Objekte einnimmt. Man sieht sie nicht als die Gebrauchsgegenstände, die sie eigentlich waren, sondern als die Gegenstände, zu denen sie werden könnten. Das kann entweder allein geschehen oder in der Gruppe, kann also Gelegenheit zur Entspannung und zum Rückzug sein oder zum bereichernden Austausch und zur Zusammenarbeit mit anderen. Egal auf welchem Wege das Upcycling geschieht- am Ende steht ein Unikat, ein einzigartiges Objekt, das ganz den eigenen Wünschen und Vorlieben entspricht. Gleichzeitig kann uns der Upcycling-Prozess das gute Gefühl vermitteln, Müll vermeiden und zudem unsere Bedürfnisse ohne erneuten Konsum selbst erfüllt zu haben – Upcycling kann so zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Unabhängigkeit werden.

Und ist das umweltpolitisch überhaupt immer sinnvoll, oder gibt es auch unsichtbare Gefahren beim Upcycling?

Umweltpolitisch ist Upcycling doppelt sinnvoll: Zum einen wird Müll vermieden. Das ist gut, weil der Transport und – wenn das überhaupt möglich ist - die Weiterverwertung von Müll Energie verbrauchen und Emissionen produzieren. Mancher Müll kann nicht weiterverwertet werden und stellt oft eine große Belastung für die Umwelt dar, wie z.B. Plastik, das die Meere verschmutzt. Zum anderen entstehen beim Upcycling neue Produkte aus alten Produkten, sodass nichts Neues gekauft werden muss - auch das spart sowohl Ressourcen als auch Energie und schont damit die Umwelt. Beim Upcycling sollte darauf geachtet werden, wie und mit welchen Materialien gearbeitet wird, sodass keine Gesundheitsrisiken drohen, abgesehen davon haben sich aber noch keine Gefahren gezeigt.

Wie kann Upcycyling und Wieder- und Weiterverwertung von Gebrauchsgütern den Weg in größere Wirtschaftszusammenhänge finden. Gibt es da schon vorzeigbare Ansätze?

Upcycling ist in einigen Bereichen schon zum Geschäftsmodell geworden und ist damit auf dem Weg in diese größeren Wirtschaftszusammenhänge. Die Autorin Sass Brown stellt in ihrem Buch „ReFashioned: Cutting Edged-Clothing From Upcycled Materials” 46 internationale Designer vor, die mit abgelegter Kleidung und Materialien aus zweiter Hand arbeiten und auch darüber hinaus gibt es im Bereich Mode viele Marken und Läden, die durch Upcycling hergestellte Kleidung oder Accessoires verkaufen (s. bspw. Looptworks, Upcycling Deluxe, upsala u.v.m.). Ähnliches gilt für Möbel, auf der Plattform superfein verkaufen bspw. viele verschieden Hersteller Möbel, Leuchten und Wohnaccessoires, die durch Upcycling alter Materialien entstanden sind. Hier könnten noch viele weitere Beispiele genannt werden - es kann also auf jeden Fall von „vorzeigbaren Ansätzen“ gesprochen werden.

Wie sieht für Sie persönlich nachhaltiger Konsum im Alltag aus? Und was macht ihnen dabei Spaß bzw. weniger Spaß?

Nachhaltiger Konsum besteht für mich vor allem darin zunächst zu überlegen, was ich überhaupt unbedingt konsumieren „muss“. Ist es zum Beispiel ein Muss, zu Geburtstagen oder zu Weihnachten Dinge zu schenken? Oder ist nicht gemeinsam verbrachte Zeit ein schöneres und auch wertvolleres Geschenk? Wieviel brauche ich um gut zu leben? Und ab wann hat mein Konsumverhalten schädliche Auswirkungen auf andere? Die Beantwortung dieser Fragen ist eine Voraussetzung, um zu nachhaltigem Konsum zu gelangen. Ich stelle sie mir nicht nur in Bezug auf mein eigenes Leben, sondern auch als Wissenschaftlerin, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt, und diese Beschäftigung aus wissenschaftlicher Sicht bereitet mir viel Spaß. Der nächste Schritt zu nachhaltigem Konsum im Alltag besteht für mich darin, die Dinge, die ich wirklich brauche, bewusst zu kaufen und bspw. auf ihre Herkunft zu achten. Das ist leider gerade im durchgeplanten und arbeitsreichen Alltag als berufstätige Mutter von zwei Kindern oft schwierig, sowohl zeitlich, als auch organisatorisch: Manchmal ist dann zum Beispiel der Supermarkt, der direkt am Heimweg liegt, einfach schneller erreicht als der Biomarkt.

*Vielen Dank für das Interview!*

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Autorin / Autor: Professorin Fuchs, Redaktion - Stand: Januar 2017