"Diskriminierung ist inakzeptabel"

Interview mit den Lale Diklitas von der Initiative WoW (With or without), die sich für die Gleichberechtigung von Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt einsetzt

*Wenn in Deutschland über muslimische Mädchen und Frauen gesprochen wird, geht es in vielen Fällen um das Thema „Unterdrückung“ und das seit Jahrzehnten immer wieder heftig diskutierte Kopftuch, das für mangelnde Integration verantwortlich gemacht wird. Mit welchen Schwierigkeiten haben muslimische Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt denn genau zu kämpfen?*
Die Schwierigkeiten für viele Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund fangen bereits in der Bewerbungsphase an. Erst neulich wurde eine Studie veröffentlicht („Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves“, Doris Weichselbaumer, IZA 2016), deren Ergebnisse hohe Wellen geschlagen hat. Sie zeigte auf, dass eine Frau mit türkischem Namen mehr Bewerbungen verschicken muss als eine Frau mit deutschem Namen und identischer Qualifikation. Bei Frauen mit Kopftuch fiel das Ergebnis noch deutlicher aus: Eine muslimische Frau mit Kopftuch musste mehr als vier Mal so viele Bewerbungen verschicken, um die gleiche Anzahl an Rückmeldungen zu bekommen. Sie wird deutlich seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.
Auch weitere Statistiken zeigen die Schwierigkeit vieler muslimischer Frauen, im deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ von 2008 zeigt: im Jahr 2008 waren nur ca. 18% der befragten muslimischen Frauen Vollzeit erwerbstätig, während die Zahl bei den „restlichen“ befragten Frauen in Deutschland ca. 29% betrug. Insgesamt waren ca. 58% der befragten muslimischen Frauen erwerbstätig, beim Rest der befragten Frauen waren dies 67%. Natürlich ist es so, dass Frauen in unserer Gesellschaft generell seltener erwerbstätig sind als Männer. Und es besteht die Möglichkeit, dass Frauen sich bewusst gegen eine Erwerbstätigkeit entscheiden, oder dass traditionelle Geschlechterrollen einer Erwerbstätigkeit im Weg stehen. Allerdings können Umfragen dies so nicht bestätigen. Die große Mehrheit der muslimischen Paare wünscht sich beispielsweise, dass sowohl der Mann, als auch die Frau erwerbstätig ist („BAMF-Geschlechterrollenstudie“ 2013).
Wir müssen uns also auf die Suche nach anderen Faktoren machen, die muslimischen Frauen die Erwerbstätigkeit erschweren. Die Erwerbstätgkeit dieser Frauen muss in einer multidimensionalen und intersektionalen Weise betrachtet und angegangen werden. Ein Faktor ist dabei das Kopftuch. Die Zahlen zeigen nämlich, dass muslimische Frauen mit Kopftuch deutlich seltener erwerbstätig sind als muslimische Frauen ohne Kopftuch (Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ 2008).
Außerdem stehen vielen muslimischen Frauen neben den Barrieren im Kopf auch die Gesetze im Weg. Beispielsweise ist in vielen Berufen des öffentlichen Diensts eine Benachteiligung aufgrund des Kopftuches gesetzmäßig möglich und wird mit der Neutralität des Staates begründet. Auch wenn das Kopftuchverbot für Lehrerinnen bereits 2015 vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, müssen sich die einzelnen Schulgesetzte in den meisten Bundesländern noch ändern und dabei hinkt man deutlich hinterher. Nordrhein-Westfalen ist ein positives Beispiel, da es die Anpassung bereits vorgenommen hat. Neben der Religiosität wird das Kopftuch allzu oft mit Unterdrückung verbunden, obwohl diese Wahrnehmung nicht auf den Aussagen der Frauen selbst basiert. Wenn man die Assoziationen mit dem Kopftuch in den verschiedenen Ländern Europas betrachtet, erkennt man international deutliche Unterschiede. Ungeachtet des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, das 2006 in Deutschland in Kraft trat und umfassenden Schutz vor Diskriminierung bieten soll, bestehen die Herausforderungen muslimischer Frauen – ungeachtet der Qualifikation – weiter fort. Dies ist ein Problem, da die Erwerbstätigkeit eine wichtige Grundlage für die gesellschaftliche Integration von Personengruppen ist. Dafür setzt sich WoW ein, denn Diskriminierung ist inakzeptabel, egal, um wen es sich handelt. Egal, ob um Frauen mit oder ohne Kopftuch, also „with or without“.

*Euer Verein greift diese Diskussion auf und will die Integration von Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund mit oder ohne Kopftuch in den deutschen Arbeitsmarkt vorantreiben. Wie geht ihr dabei vor?*
Wir verfolgen einen dreistufigen Ansatz und versuchen, alle Akteure anszusprechen, die in der Arbeitsmarktintegration mitwirken: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, und die Gesellschaft als Ganzes. Das heißt konkret: wir planen und setzen verschiedene Aktionen für Frauen mit muslimischem Migrationhintergrund, für ArbeitgeberInnen und für die gesamte Gesellschaft um. Für die Frauen, also die Arbeitnehmerinnen, bieten wir beispielsweise Seminare und Workshops an, die sie auf den Arbeitsmarkt vorbereiten. Für Arbeitgeber bieten wir Informationen, Vorträge, und auch Workshops an. Außerdem richten sich unsere Informationen auch an die gesamte Gesellschaft. Denn die ArbeitgeberInnnen sind ja auch nichts anderes als Mitglieder unserer Gesellschaft, und ihr Handeln ist oft ein Abbild der Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Wenn die Gesellschaft als Ganzes sensibilisiert wird, wird sich das neue Bewusstsein irgendwann auf alle Bereiche – inklusive dem Arbeitssektor –  auswirken.

*Welche Unternehmen oder Organisationen wenden sich an euch, um sich beraten zu lassen? *
Wir sind im Dialog mit verschiedenen Institutionen und Organisationen. Beispielsweise hat uns das baden-württembergische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau bei der Organisation unseres WoW-Diversity Tages im vergangenen Juni unterstützt. Auch Mitglieder verschiedener Frauenvereine haben sich an uns gewendet und an unseren Programmen, beispielsweise dem Workshop „Perspektivwechsel – Die Welt aus muslimischen Augen betrachten“, teilgenommen.

*Welche Erfahrungen macht ihr bei Workshops und Beratungen?*
Bei solchen Veranstaltungen wird oft klar, dass das Wissen über Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund, und speziell ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt, noch lückenhaft ist. Oft wird auch deutlich, dass der Kontakt zu den Frauen selbst bisher gefehlt hat, und dass häufig nur über sie gesprochen wurde, statt mit ihnen. Aber mit der Teilnahme an unseren Seminaren ist der erste Schritt in die richtige Richtung getan. Auch das Forum der Kulturen in Stuttgart hat sich an uns gewendet und wir sind dabei, gemeinsam Kampagnen zu konzipieren, die bald ins Leben gerufen werden. Das Forum der Kulturen setzt sich mit verschiedenen Aktionen stark gegen die unterschiedlichsten Formen von Rassismus ein. Es gibt also tatsächlich den Bedarf, über dieses Thema zu sprechen und es öffentlich zu machen. Dies wollen wir aufgreifen, und unser ehrenamtliches Team liefert gute Voraussetzungen dafür. Wir sind ein interkulturelles Team, und auch Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund sind vertreten. Das Thema liegt uns also am Herzen.

*Wie unterstützt ihr konkret Frauen, die sich an euch wenden?*
Wie bereits erwähnt, bieten wir Seminare und Workshops an, an denen sie teilnehmen können. Diese Seminare betreffen verschiedene Themen wie die gesetzliche Lage bezüglich MigrantInnen im Arbeitsmarkt,  Zahlen und Fakten zur Arbeitsmarktintegration dieser Zielgruppe, und praktische Tipps zu Bewerbung, Vorstellungsgesprächen und ähnlichem. In den Workshops können die Frauen das Erlernte festigen und üben. Wir unterstützen sie also mit Informationen. Manche Frauen haben auch konkrete Fragen zur Jobsuche, bei denen wir ihnen weitere Anlaufstellen vermitteln. Bei Problemen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse haben wir unsere Seminare auch schon in persischer und arabischer Sprache abgehalten, im Angebot haben wir noch Englisch und Türkisch.

*Ihr habt auch ein Spiel entwickelt, mit dem man sein Wissen (und seine Vorurteile) über Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund überprüfen kann. Erzählt doch mal etwas über die Entstehung und die Reaktionen, die ihr darauf bekommt.*
Über manche Themen, die gesellschaftlich relevant sind, sprechen Menschen gar nicht so gerne, da sie sie als ernste „Tabu-Themen“ wahrnehmen oder der Meinung sind, sie betreffen sie gar nicht. Da entstand die Idee, neben den „ernsten“, tiefgreifenden Informationen auch einen spielerischen Zugang du diesem Thema zu schaffen. So entwickelten wir schließlich unser WoW-Wissensspiel zum Thema Muslime in Deutschland und auf dem Arbeitsmarkt. Manche Fragen sind sehr allgemein gehalten, während sich andere speziell auf unsere Zielgruppe, auf muslimische Frauen auf dem Arbeitsmarkt, beziehen. Mit dem Spiel wollen wir gängige Missverständnisse, die in den Medien oder in der öffentlichen Debatte oft vorkommen, thematisieren. Deshalb möchten wir mit unseren Fragen eine Art Aha-Effekt auslösen. Oft gelingt es uns auch. Beispielsweise wundern sich viele, die beim Spiel mitmachen, dass unter den Musliminnen mit Kopftuch ein größerer prozentualer Anteil eine Ausbildung macht als unter den Musliminnen ohne Kopftuch („Muslimisches Leben in Deutschland“ 2008). Die öffentliche Wahrnehmung ist eine andere, was mit verschiedenen Faktoren zusammenhängt. Über diese Faktoren und weitere Unklarheiten sprechen und diskutieren wir anschließend mit den Teilnehmern des Spiels und schaffen so einen fruchtbaren Austausch. Das Spiel hat sich an unseren Ständen, beispielsweise beim Stuttgarter Sommerfestival der Kulturen oder beim baden-württembergischen Diversity-Kongress, großer Beliebtheit erfreut. Viele Menschen, jung und alt, haben bisher mitgemacht. Die Lösungen unserer Fragen basieren alle auf wissenschaftlicher Forschung und sind somit belegbar.

*Welche sind eure nächsten Ziele und geplanten Aktionen?*
Unser Spiel, das bereits einige Male zum Einsatz kam, ist vorerst eine provisorische Version. Wir planen, eine umfassendere Version des Spiels zu konzipieren, entweder als Brett- oder als Kartenspiel. Das Spiel soll verschiedene Kategorien von Fragen umfassen und in verschiedenen Kontexten zum Einsatz kommen – beispielsweise in Unternehmen oder auch in Schulen. Es wird mit Unterstützung des Forums der Kulturen e.V. in Stuttgart entwickelt und auf Spendenbasis verfügbar gemacht. So möchten wir unsere Aufklärungsarbeit fortsetzen. Auch andere Pläne zur Sensibilisierung sind vorhanden. Wundert euch nicht, wenn ihr unser Logo bald öfter in Stuttgart und Umgebung antrefft – beispielsweise auf hippen Jutebeuteln oder Postkarten.
Aber auch die anderen Akteure, also Frauen und ArbeitgeberInnen, wollen wir weiter ansprechen. Unsere Seminare und Workshops haben sich als erfolgreich erwiesen und diese wollen wir fortsetzen. Allerdings ist nun das erste Projektjahr vorbei, welches von der UNHATE Stiftung und von United Nations Academic Impact unterstützt wurde. Nach dem ersten erfolgreichen Jahr werden wir die Vereinsform von WoW e.V. umstrukturieren, und müssen deshalb zunächst einmal unser erstes Jahr evaluieren und unsere Vorstellungen für die Zukunft konkretisieren. Daneben werden wir natürlich unsere bisherigen Pläne umsetzen und weiterhin für Fragen oder Anregungen zur Verfügung stehen. Auch sind wir offen für Menschen, die bei uns mitarbeiten wollen.

*Wann würdet ihr sagen: WoW! Ziel erreicht ;-)*
Wir werden unser Ziel erreicht haben, wenn sich bei jedem einzelnen Mitglied unserer Gesellschaft das Bewusstsein entwickelt hat, dass Benachteiligung jeder Form inakzeptabel ist und uns als Gesellschaft schadet. Außerdem ist unser messbares Ziel, dass es sehr bald mehr Frauen mit muslimischem Migrationshintergrund im deutschen Arbeitsmarkt gibt und sie die Herausforderungen, die schon mit der Bewerbungsphase beginnen, immer weniger zu spüren bekommen. Es sollte im Arbeitsmarkt keine Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen geben, die durch die Herkunft, den Namen oder das Aussehen begründet sind. Uns ist klar, dass dies ein langfristiges und nicht leicht zu erreichendes Ziel ist, aber wir verfolgen es gerne!
Für mehr Informationen, besuchen Sie uns auf Facebook unter „WoW – With or Without“ oder kontaktieren Sie uns unter infowow2015@gmail.com.

Autorin / Autor: Rosi Solz und Lale Diklitas - Stand: 9. November 2016