Wie man Schwung in den Text bringt und Rückblenden einbaut

Lektoren erkennen bereits anhand von vier Seiten, ob das Manuskript Potential hat, ob der Plot interessant ist, ob die Charaktere gut ausgearbeitet sind etc.

*Stagnation*

Aktive Sätze beschleunigen das Tempo des Texts. Daher rät Hans Peter Roentgen, Diplominformatiker, Redakteur und Autor von Sachbüchern, sowohl am Anfang eines Romans, als auch im weiteren Verlauf der Geschichte auf Passiv-Konstruktionen zu verzichten. „Gebrauch machen“ beispielsweise wird durch „gebrauchen“ oder „benutzen“ ersetzt. Aus „Frage stellen“ wird schlicht und einfach „fragen“.

Um zu verhindern, dass das Manuskript an Schwung verliert, sollten keine „Substantivierungen oder Partizipien, kein Nominalstil“ im Text auftauchen.¹ Das Medaillon fasziniert betrachtend, fragte sie: „Ist dir diese Gravur aufgefallen?“ ändert man einfach in: Fasziniert betrachtete sie das Medaillon. „Ist dir diese Gravur aufgefallen?“, fragte sie. Der Satz „Die Zuschauer jubelten“ ersetzt „Jubeln ertönte“.

Zu den häufigsten Fehlern von Hobby-Autoren zählen laut Hans Peter Roentgen Infodump und Rückblenden. „Infodump“ bedeutet, dass der Leser viele Informationen bekommt. „Ziel und Zweck sind undurchsichtig und vor allem geschieht nichts, rein gar nichts“.² Natürlich versteht der Lektor, dass der Autor sich etwas dabei gedacht hat, wenn er schreibt: Es war nicht ihr Tag. Erst hatte Heike sich mit ihrer Mutter gestritten, hatte sich mit dem kleinen Zeh am Tischbein angeschlagen und im Bus während der Fahrkartenkontrolle erschrocken festgestellt, dass sie den Geldbeutel zu Hause vergessen hatte. Nun saßen sie in diesem schmucklosen Raum. Simones Hand schloss sich um die ihre. „Es wird alles gut gehen, glaub mir“, sagte Simone. Heike erwiderte ihr Lächeln nicht.

Wenn man einen packenden Einstieg hat, in dem eine der beiden erfährt, dass sie an einer schweren Krankheit erkrankt ist, dann darf man die ersten beiden Sätze ruhig streichen. Häppchenweise präsentierte Informationen, sofern sie elegant verpackt sind, bereichern jedoch die Textprobe. Ebenso verhält es sich mit sparsam eingesetzten Rückblenden ... womit wir zum nächsten Thema kommen.

*„Und jetzt geht’s rückwärts!“*

Ich kann es nicht besonders leiden, wenn die monoton-freundliche Stimme durch die Lautsprecher eben diesen Satz verkündet. Man hat sich erst daran gewöhnt, dass man zusammen mit anderen Leuten mehrere Meter über dem Boden schwebt und die Füße in der Luft schaukeln. Eben hat die Teufelsmaschine alle mehrmals durch die Luft gewirbelt. Noch immer hört man das Pfeifen des Windes in den Ohren und macht sich innerlich auf das nächste Drehen und Wirbeln bereit, da reißt einen die Attraktion mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach hinten, und das Herz macht einen Sprung.

In Geschichten verhält es sich manchmal folgendermaßen: Dem Protagonisten droht auf den ersten Seiten etwas Furchtbares. Der Blick des Lesers springt von einer Zeile zur nächsten, weil ihn die Neugier innerlich auffrisst. Und mitten im spannenden Augenblick wird der Leser aus dem aktuellen Geschehen herausgerissen und landet in einer Rückblende. Diese Vorgehensweise gehört laut Hans Peter Roentgen ebenfalls zu den Fehlern von Schreibenden.

Das Interesse des Lesers wecken die Autoren durch konfliktgeladene, hochexplosive Situationen und zwingen ihn schließlich, in eine Zeit vor dem eigentlichen Ereignis einzutauchen, das den Leser überhaupt dazu bewegt hat, bis Seite zwei oder drei zu kommen. Manchmal fungiert die Rückblende als Cliffhanger, der noch hungriger auf den Höhepunkt der Szene macht. Manchmal enthält sie Details, die zu einem späteren Zeitpunkt entscheidend sein werden. Das ahnt der Leser noch nicht. Immerhin ist er in Gedanken noch in der ersten Szene, in der der Protagonist um sein Leben bangt.

Dass viele Autoren in ihren Manuskripten aus der Gegenwart, in der die Handlung spielt, in die Vergangenheit wechseln, ist durchaus verständlich. Schließlich hat der Autor nur wenige Seiten, um den Lektor mit dem Manuskript in genau dieser Form zu überzeugen. Also packt er spannende Elemente sowohl in den aktiven Part der Textprobe, nämlich den Anfang, als auch in den passiven, was die Rückblende letztendlich ist, da wir trotz Rückblende oft nicht „live“ dabei sind, sondern bereits Vergangenes erfahren. Doch Passiv bleibt Passiv.

Das folgende Beispiel verdeutlicht, wie der Erzählfluss unterbrochen wird: Rafaels Blick wich nicht von der Tür. Unzählige Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Erst ein Klirren holte ihn zurück in das Wartezimmer der Frauenärztin. Er hob seinen Ring auf. Wahrscheinlich hatte er ihn wieder mehrmals aus- und angezogen, was er immer tat, wenn seine Nerven zum Zerreißen gespannt waren. Den Ring hatte er von seinem Vater vor einem Jahr zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt bekommen. Das war die letzte Feier, an der sein Vater teilgenommen hatte. Wochen später erlag er der jahrelangen Krankheit.
Leonie erschien im Türrahmen. Ihr Gesicht wirkte blass, doch in ihren Augen war ein Feuer entfacht wie in jenen Momenten, in den Rafael und sie einander so nah waren.
Ihre Stimme klang heißer, als sie schließlich sagte: „Ich bin schwanger!“

Der Leser ahnt, dass eine Neuigkeit Rafaels Leben komplett umkrempeln wird. Denn genauso beginnen Arbeitsproben: Mit einer Szene, die das Leben des Protagonisten vollkommen verändert. Während Rafael also auf seine Freundin wartet, verlassen wir die Szene und erfahren in einer Rückblende, dass der Ring ihm sehr viel bedeutet, weil er immerhin ein Geschenk seines Vaters ist. Vielleicht denkt Rafael an seinen Vater, weil er sich seine Unterstützung und seinen Rat wünscht? - Wie dem auch sei. H. P. Roentgen empfiehlt, Rückblenden kritisch zu betrachten und sich zu fragen, ob sie wirklich notwendig sind. In diesem Beispiel ist die Rückblende unvorteilhaft, weil sie die Handlung einige Zeilen lang „gefrieren“ lässt.

Mich stören Rückblenden oft überhaupt nicht, weil sie beispielsweise verraten, warum der Protagonist so geworden ist, wie er ist, oder wie er in die gefährliche Situation geraten ist. Manchmal liefern sie dezent Hinweise, die im späteren Verlauf des Geschehens sehr wichtig sein werden. Doch relevante Informationen aus dem Leben des Protagonisten lassen sich auf unterschiedliche Weise geschickt in den Text einflechten, zum Beispiel durch Dialoge.

Auf Anhieb fällt mir ein Beispiel ein, das beweist, dass Rückblenden am Anfang eines Romans den Leser nicht sofort vergraulen. So beginnt Jodie Picaults „Zeit der Gespenster“ mit einer längeren Rückblende. Dem Leser wird mitgeteilt, dass Ross, einer der wichtigsten Protagonisten, bereits mehrere gescheiterte Selbstmordversuche hinter sich hat. Natürlich fragt man sich, warum er versucht hat, sich das Leben zu nehmen, und wieso er jedes Mal überlebt hat. Ab und zu kommt man ohne Rückblenden nicht aus. Allerdings können diese in wohl dosierter Form auch später im Manuskript auftauchen. Aber H.P. Roentgen und viele andere Autoren haben natürlich Recht: Mit Rückblenden sollte man sparsam umgehen.

¹ Roentgen, Hans Peter, Vier Seiten für ein Halleluja, 2008, Sieben-Verlag Ldt., S. 40
² S. 17

Autorin / Autor: Carolina Hein